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Jenseits von Flora und Fauna: Warum es an der Zeit ist, Pilze in die globalen Naturschutzziele einzubeziehen

Pilze – ein weitgehend unbekanntes Königreich. Warum ohne Pilze kein Leben möglich ist, erfahren wir in diesem Gastbeitrag.
The Conversation

Inhalt

Es ist kein Geheimnis, dass die biologische Vielfalt der Erde in Gefahr ist. Nach Angaben der International Union for the Conservation of Nature sind derzeit weltweit 26 Prozent aller Säugetiere, 14 Prozent der Vögel und 41 Prozent der Amphibien bedroht, vor allem durch menschliche Einflüsse wie Klimawandel und Ausdehnung.

Andere Lebensformen stehen ebenfalls unter Druck, sind aber schwieriger zu zählen und zu bewerten. Einige Wissenschaftler haben vor einem Massensterben von Insekten gewarnt, obwohl andere sagen, dass dies nicht bewiesen sei. Und dann sind da noch die Pilze – Mikroben, die oft unbemerkt bleiben und von denen es schätzungsweise zwei bis vier Millionen Arten gibt. Weniger als 150.000 Pilze haben eine offizielle wissenschaftliche Beschreibung und Klassifizierung erhalten.

Wenn du Brot, Wein oder Sojasoße genießt oder Penicillin oder immunsuppressive Medikamente eingenommen hast, danke den Pilzen, die all diese Produkte möglich machen. Mit Ausnahme von Hefe und Champignons werden die meisten Pilze übersehen und gedeihen versteckt im Dunkeln und in der Feuchtigkeit. Doch Wissenschaftler sind sich einig, dass sie wertvolle und schützenswerte Organismen sind.

Als Mykologen, die sich mit der Artenvielfalt befassen und Pilze studieren, die mit Tausendfüßlern, Pflanzen, Mücken und echten Wanzen interagieren, haben wir unsere berufliche Laufbahn dem Verständnis der entscheidenden Rolle gewidmet, die Pilze spielen. Diese Beziehungen können für den Partnerorganismus des Pilzes nützlich, schädlich oder neutral sein. Es ist keinesfalls übertrieben zu sagen, dass das Leben auf der Erde ohne Pilze, die tote Materie abbauen und ihre Nährstoffe recyceln, nicht existieren würde.

Gesunde Ökosysteme brauchen Pilze

Das erstaunliche biologische Reich der Pilze umfasst alles von Baumpilzen, Schimmelpilzen und Hefen etc. Pilze sind keine Pflanzen, obwohl sie in Lebensmittelgeschäften meist in der Nähe von Frischwaren zu finden sind. Tatsächlich sind sie eher mit Tieren verwandt.

Aber Pilze haben einige einzigartige Eigenschaften, die sie von anderen unterscheiden. Sie wachsen durch Knospung oder als lange, oft verzweigte, fadenförmige Röhren. Um sich fortzupflanzen, bilden Pilze in der Regel Sporen, ein Stadium der Ausbreitung und der Keimruhe. Anstatt Nahrung in ihren Körper aufzunehmen, geben Pilze Enzyme an ihre Nahrung ab, um diese aufzuspalten und dann die freigesetzten Zucker zu absorbieren. Das Pilzreich ist sehr vielfältig, so dass viele Pilze aus der Reihe tanzen.

Pilze spielen weltweit eine wichtige ökologische Rolle. Einige gehen seit Hunderten von Millionen Jahren wichtige Partnerschaften mit Pflanzenwurzeln ein. Andere bauen abgestorbene Pflanzen und Tiere ab und geben wichtige Nährstoffe an den Boden zurück, damit andere Lebensformen sie nutzen können.

Pilze gehören zu den wenigen Organismen, die Lignin abbauen können, einen Hauptbestandteil von Holz, der den Pflanzen ihre Festigkeit verleiht. Ohne Pilze wären unsere Wälder mit riesigen Haufen von Holzabfällen übersät.

Wieder andere Pilze gehen einzigartige Partnerschaften mit Insekten ein, die auf Gegenseitigkeit beruhen. Flavodon ambrosius, ein weißer Fäulnispilz, dient nicht nur als Hauptnahrungsquelle für bestimmte pilzbewohnende Ambrosiakäfer, sondern verdrängt auch schnell andere holzbesiedelnde Pilze, was es diesen Käfern ermöglicht, große Mehrgenerationengemeinschaften aufzubauen. In ähnlicher Weise ziehen Blattschneiderameisen Leucoagaricus gongylophorus als Nahrung auf, indem sie in ihren Nestern totes Pflanzenmaterial sammeln, um ihren Pilzpartner zu füttern.

Ein weitgehend unbekanntes Königreich

Wir können die Vorteile, die Pilze bieten, nur teilweise schätzen, da die Wissenschaftler einen eingeengten und sehr unvollständigen Blick auf das Pilzreich haben. Stell dir vor, du versuchst, ein Vier-Millionen-Teile-Puzzle mit nur drei bis fünf Prozent der Teile zusammenzusetzen. Mykologen haben Mühe, die biologische Vielfalt der Pilze auf der Erde formal zu beschreiben und gleichzeitig den Erhaltungszustand der verschiedenen Arten zu bewerten und Verluste zu verfolgen.

Auf der Roten Liste der bedrohten Arten der International Union for Conservation of Nature (IUCN) sind derzeit 551 Pilze aufgeführt, verglichen mit 58.343 Pflanzen und 12.100 Insekten. Etwa 60 Prozent dieser gelisteten Pilzarten sind Lamellenpilze oder Flechtenpilze, die einen sehr kleinen Ausschnitt des Pilzreichs darstellen.

Auf die Frage, wie ein Pilz aussieht, stellt sich der Durchschnittsbürger wahrscheinlich einen Champignon vor, was auch teilweise richtig ist. Pilze (im Engl. „mushrooms“) sind „Fruchtkörper“ oder reproduktive Strukturen, die nur bestimmte Pilze („fungi“) produzieren. Die meisten Pilze bilden jedoch keine oder keine für das Auge sichtbaren Fruchtkörper aus, so dass diese „Mikropilze“ größtenteils übersehen werden.

Viele Menschen empfinden Pilze als beängstigend oder ekelerregend. Obwohl das Interesse an Pilzen zunimmt, erhalten Arten, die Krankheiten verursachen – wie der Chytridpilz bei Amphibien und das Weißnasen-Syndrom bei Fledermäusen – immer noch mehr Aufmerksamkeit als Pilze, die eine wichtige, nützliche Rolle in der Umwelt spielen.

Schutz unserer pilzlichen Zukunft

Auch wenn das Wissen über den Zustand der Pilze begrenzt ist, gibt es immer mehr Hinweise darauf, dass der Klimawandel sie ebenso bedroht wie Pflanzen, Tiere und andere Mikroben. Verschmutzung, Dürre, Feuer und andere Störungen tragen zum Verlust wertvoller Pilze bei.

Das gilt nicht nur für das Land. Jüngste Studien über Wasserpilze, die in Flüssen, Seen und Ozeanen eine wichtige Rolle spielen, haben die Besorgnis geweckt, dass nur wenig für ihre Erhaltung getan wird.

Es ist schwer, Menschen zu motivieren, sich um etwas zu kümmern, was sie nicht kennen oder verstehen. Und es ist schwierig, wirksame Schutzprogramme für Organismen aufzustellen, die selbst für Wissenschaftler rätselhaft sind. Aber Menschen, die sich für Pilze interessieren, versuchen es. Neben dem IUCN Fungal Conservation Committee, das globale Initiativen zum Schutz von Pilzen koordiniert, setzen sich verschiedene Nichtregierungsorganisationen und gemeinnützige Organisationen für Pilze ein.

In den letzten zwei Jahren haben wir ein starkes öffentliches Interesse an Pilzen aller Art festgestellt, von Home-Grow-Kits für den Eigenbedarf und Anbaukursen bis hin zu vermehrten Eintritten in lokale mykologische Vereinigungen. Wir hoffen, dass diese neu entdeckte Akzeptanz den Pilzen, ihren Lebensräumen und den Menschen, die sie erforschen und pflegen, zugute kommen wird. Ein Gradmesser für den Erfolg wäre, wenn die Menschen nicht nur fragen würden, ob ein Pilz giftig oder essbar ist, sondern auch, ob er geschützt werden muss.

Delegationen aus den meisten Ländern der Welt werden in diesem Herbst in China zu einer großen Konferenz zum Schutz der biologischen Vielfalt zusammenkommen. Ihr Ziel ist es, internationale Maßstäbe für die Erhaltung des Lebens auf der Erde in den kommenden Jahren zu setzen. Die Mykologen wollen, dass Pilze, Hefen und Schimmelpilze in den Plan einbezogen werden.

Jeder, der seine Neugierde im Freien auslebt, kann auf gemeinschaftlichen Wissenschaftsplattformen wie iNaturalist über seine Pilzbeobachtungen berichten und mehr darüber erfahren. Der Beitritt zu einem Mykologie-Club ist eine gute Möglichkeit, um zu lernen, wie man Pilze auf verantwortungsvolle Weise findet und erntet, ohne zu viel zu pflücken oder ihre Lebensräume zu beschädigen.

Pilze bilden überall um uns herum in der Umwelt wichtige Netzwerke und Partnerschaften, indem sie Ressourcen und Informationen in alle Richtungen zwischen Boden, Wasser und anderen Lebewesen transportieren. Für uns sind sie ein Beispiel für die Kraft der Verbindung und Zusammenarbeit – wertvolle Eigenschaften in dieser prekären Phase des Lebens auf der Erde.

AutorInnen: Matt Kasson, Associate Professor of Mycology and Plant Pathology, West Virginia University; Brian Lovett, Postdoctoral Researcher in Mycology, West Virginia University, and Patricia Kaishian, Visiting Assistant Professor of Biology, Bard College

Dieser Artikel ist neu veröffentlicht von The Conversation unter einer Creative-Commons-Lizenz. Lesen Sie hier den Original-Artikel.

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