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Die Transhumanz in der regenerativen Landwirtschaft: Ein Modell mit Zukunft?

Die Transhumanz, ein jahrhundertealtes Prinzip der Tierhaltung, das die Wanderung von Viehherden zwischen Weideflächen beschreibt, erlebt derzeit ihr großes Erwachen.

Während meines letzten Aufenthaltes auf dem spanischen Festland (Extremadura) begegnete mir ein System der Tierhaltung, das mir bis dato gänzlich unbekannt war: die sogenannte Transhumanz. Sie ist nicht nur eine tausendjährige Tierhaltungsmethode, sondern birgt auch das Geheimnis der Biodiversität der jeweiligen Region in sich. Sie gilt als intelligente Nutzung natürlicher Ressourcen und seit 2019 in Ländern wie Österreich, Italien, Griechenland und Kolumbien als immaterielles UNESCO-Weltkulturerbe.

Die Reise beginnt erneut: Auf den Spuren der Transhumanz

Zu Hause angekommen habe ich mich sofort auf die Reise begeben, dieses jahrhundertealte Prinzip der Tierhaltung kennenzulernen und zu erforschen. Im Folgenden liest Du meine Erkenntnisse zu dieser Art des Viehtriebs, der die natürlichen Ressourcen effizient nutzt – ähnlich zu den Prinzipien der regenerativen Landwirtschaft.

Fotos: © Jan Wagner

Kühe auf einer Naturweide
Kühe auf einer Naturweide

Transhumanz – ein Konzept mit Tradition

Transhumanz kann man auch als Wanderweidewirtschaft übersetzen. Die Viehherden werden klimabedingt saisonal zwischen verschiedenen Weidegründen geführt – meist über verschiedene Klimazonen und Höhenstufen hinweg. Diese Weidegebiete bieten jeweils nur während einer Jahreszeit ausreichend Futter. Viele der Hirten sehen zum Teil monatelang ihr Zuhause nicht. 

Diese Wanderweidewirtschaft findet zumeist auf natürlich entstandenem und nicht umzäuntem Weideland statt und gehört zur Naturweidewirtschaft, auch Pastoralismus genannt. Stallhaltung in den Wintermonaten kommt bei der klassischen Form weniger häufig vor und geschieht meist nicht aus Gründen klimatischer Bedingungen.

Die Transhumanz ist besonders im Mittelmeerraum verbreitet.
Die Transhumanz ist besonders im Mittelmeerraum verbreitet. Copyright: Maison de la Transhumanz (Pressebild)

Bodenschonende Beweidung

Diese extensive Form der Weidewirtschaft war bis vor einigen Jahrzehnten auf der ganzen Welt weit verbreitet und diente dazu, Weideland zu schonen, negative Auswirkungen auf den Boden zu reduzieren und die Tier- und Bodengesundheit zu fördern. Mit dem Aufkommen der industriellen Landwirtschaft und einer fortschreitenden Urbanisierung ging die Bedeutung der Transhumanz sukzessive zurück.

Schafherde auf einer Dehesa in der spanischen Extremadura
Transhumanz: Schafherde auf einer Dehesa in der spanischen Extremadura

Schaftrieb von Südtirol nach Tirol

Schon seit mehr als 600 Jahren werden jedes Jahr Mitte Juni bis zu 4.000 Schafe vom Schnalstal in Südtirol bis ins Ötztal getrieben. Auf diesem langen und beschwerlichen 2-Tages-Marsch überwinden die Schafe und ihre Hirten die italienisch-österreichische Grenze bis nach Tirol. Das ist weltweit der einzig bekannte grenz- und gletscherüberschreitende Wandertrieb. Dort angekommen erwartet die Schafe über die Sommermonate saftiges und frisches Gras. Im September gehts dann wieder zurück. Der gelungene Schafabtrieb wird mit einem großen Fest im Schnalstal gebührend gefeiert.
Exkurs

Die Rückbesinnung auf traditionelle Praktiken in einer nachhaltigen Landwirtschaft

Im Zuge des Klimawandels und der steigenden Nachfrage nach regenerativ erzeugten Lebensmitteln erkennen Landwirte und Agrarwissenschaftler die Vorteile der Transhumanz. Durch die Integration dieser Praktik in moderne regenerative Landwirtschaftssysteme können zahlreiche ökologische und ökonomische Vorteile erzielt werden.

Die Vorteile der Transhumanz für die regenerative Landwirtschaft

Landwirte erkennen die vielfältigen Vorteile dieser Praxis und integrieren sie in ihre Betriebe. Durch die Wanderung der Viehherden können Landwirte natürliche Weiden nutzen, die reich an Gräsern und Kräutern sind, was zu einer gesünderen Ernährung der Tiere führt. Gleichzeitig wird die Belastung der einzelnen Weidegebiete reduziert, was den Bodenregenerationsprozess fördert.

  1. Bodenfruchtbarkeit und -regeneration:

    Durch die Bewegung von Viehherden zwischen verschiedenen Weidegründen können Bodenerosion und Überweidung reduziert werden. Dies fördert die Bodenfruchtbarkeit und ermöglicht eine natürliche Regeneration.
  2. Biodiversität:

    Die Wanderung von Viehherden fördert die Biodiversität in verschiedenen Ökosystemen. Indem sie verschiedene Lebensräume durchqueren, tragen die Tiere zur Steigerung der Biodiversität bei.
  3. Nachhaltige Nutzung von Ressourcen:

    Die Transhumanz ermöglicht eine effizientere Nutzung natürlichem Weideland, da verschiedene Flächen zu unterschiedlichen Jahreszeiten genutzt werden können. Dies reduziert den Bedarf an externen Inputs wie Futtermitteln und chemischen Düngemitteln und reduziert die Auswirkungen intensiver Landnutzung. Außerdem kann die Wanderung der Viehherden helfen, Erosion zu verhindern und die Bodengesundheit zu verbessern. Dies wiederum trägt zur langfristigen Nachhaltigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe bei.
  4. Tierwohl und Tiergesundheit:

    Indem den Tieren Zugang zu natürlichen Weiden mit frischem Gras gewährt wird, können sie ein artgerechteres Leben führen. Die Bewegungsfreiheit und die Möglichkeit, ihre natürlichen Verhaltensweisen auszuleben, tragen zum Wohlbefinden der Tiere bei. Dies ist nicht nur ethisch wichtig, sondern kann auch die Qualität der tierischen Produkte verbessern. Die Bewegung über große Entfernungen trägt zur physischen Fitness der Tiere bei. Auch das Ausleben natürlicher Verhaltensweisen verbessert weiter die  Gesundheit der Tiere.
Schaf auf einer natürlichen Weide
Schaf auf einer Naturweide im System der Transhumanz

Herausforderungen und Aussichten für die Zukunft der Transhumanz

Obwohl die Integration von Transhumanz in der regenerativen Landwirtschaft vielversprechend erscheint, stehen Landwirte auch vor Herausforderungen. Dazu gehören rechtliche und administrative Hürden, die Sicherheit der Viehherden während der Wanderungen sowie logistische Aspekte wie die Verfügbarkeit von Wasser und Schutz vor Raubtieren wie den Wolf.

Kreative Lösungen sind gefragt

Die Transhumanz hat zum einen viele Vorteile, aber sie stößt auch an verschiedene Grenzen, besonders auch im heutigen modernen Kontext. 

  1. Rechtliche und administrative Hürden:

    In vielen Ländern gibt es Gesetze und Vorschriften, die die Bewegung von Viehherden einschränken oder regulieren. Dies kann den transhumanen Prozess erschweren und zu bürokratischen Hürden führen, insbesondere wenn Herden über Ländergrenzen hinweg wandern.
  2. Raubtiere und Sicherheitsrisiken:

    Während der Transhumanz sind Viehherden anfällig für Angriffe durch Raubtiere wie Wölfe oder Bären. Dies stellt nicht nur eine Bedrohung für die Tiere dar, sondern kann auch die Sicherheit der Hirten gefährden, die die Herden begleiten.
  3. Verlust traditionellen Wissens:

    In vielen Gesellschaften geht das traditionelle Wissen über die Transhumanz verloren, da jüngere Generationen sich anderen Lebensstilen zuwenden. Ohne dieses Wissen kann es schwierig sein, die Praxis erfolgreich durchzuführen und ihre Vorteile zu maximieren.
  4. Landnutzungskonflikte:

    In Gebieten, in denen Land knapp ist, kann die Transhumanz zu Konflikten mit anderen Nutzern des Landes führen, wie zum Beispiel Landwirten, Naturschützern oder Tourismusbetrieben. Die Koexistenz zwischen verschiedenen Nutzungsformen des Landes erfordert oft komplexe Kompromisse und Vereinbarungen. 
  5. Umweltveränderungen:

    Klimawandel und Umweltveränderungen können die Bedingungen für die Transhumanz beeinträchtigen, indem sie die Verfügbarkeit von Weideflächen, die Wanderungsrouten oder das Klima selbst verändern. Dies erfordert Anpassungen und Flexibilität seitens der Viehzüchter.


Trotz dieser Herausforderungen und Grenzen bleibt die Transhumanz eine wertvolle Praxis, die in vielen Regionen der Welt weiterhin eine Rolle spielt. Durch innovative Ansätze und Technologien z.B. die Nutzung von GPS können einige dieser Herausforderungen bewältigt werden, um die Transhumanz zu einer nachhaltigen und effektiven Methode der Landnutzung und des Viehmanagements zu machen.

Die Transhumanz im dichtbesiedelten Raum

Die Fortführung bzw. die Einführung der Transhumanz in regionalen Strukturen, wie wir sie vor allem in Deutschland kennen, erfordert mitunter kreative Lösungen. Dabei ist die Zusammenarbeit von Landwirten, Gemeinden, Regierungsbehörden und anderen Interessengruppen von entscheidender Bedeutung. Wie die Transhumanz in solchen Gebieten erfolgreich durchgeführt werden kann, möchte ich kurz vorstellen.

  1. Schaffung von Wege- und Korridorverbindungen:

    Durch die Schaffung von Wege- und Korridorverbindungen können Viehherden sicher und effizient zwischen verschiedenen Weidegebieten wandern, auch in dichtbesiedelten Gebieten. Dies erfordert die Zusammenarbeit mit Grundbesitzern, um Zugangsrechte zu erhalten, sowie die Schaffung von Zäunen oder anderen Barrieren, um Vieh von Straßen und Siedlungen fernzuhalten.
  2. Integration von Stadtrand- und Gemeindeweiden:

    In dichtbesiedelten Regionen können Stadtrand- und Gemeindeweiden eine wichtige Rolle spielen, indem sie Viehherden Weideflächen in der Nähe von Siedlungen und städtischen Gebieten bieten. Dies reduziert die Notwendigkeit langer Wanderungen und minimiert Konflikte z.B. mit dem Verkehr.
  3. Mobile Weidesysteme:

    Mobile Weidesysteme, wie temporäre Elektrozäune oder mobile Viehtränken, können es Landwirten ermöglichen, flexibel Weideflächen in verschiedenen Teilen dichtbesiedelter Regionen zu nutzen. Durch die Rotation von Weidegebieten können sie eine nachhaltige Beweidung ermöglichen und gleichzeitig die Bodenfruchtbarkeit und Bodengesundheit erhalten.
  4. Kommunikation und Sensibilisierung:

    Die Kommunikation mit der Öffentlichkeit über die Bedeutung der Transhumanz und die Vorteile für die Umwelt und die lokale Wirtschaft kann helfen, Unterstützung für diese Praxis zu gewinnen und Konflikte zu minimieren. Sensibilisierungskampagnen können dazu beitragen, das Verständnis für die Bedürfnisse von Landwirten und Viehherden zu fördern und die Akzeptanz der Transhumanz in dicht besiedelten Gebieten zu verbessern.
  5. Entwicklung von Richtlinien und Verordnungen:

    Die Entwicklung von Richtlinien und Verordnungen auf lokaler und regionaler Ebene kann dazu beitragen, die Transhumanz in strukturstarken Regionen zu unterstützen und Konflikte zu lösen. Dies kann die Festlegung von Wege- und Korridorverbindungen, die Festlegung von Ruhe- und Weidezeiten sowie die Regelung von Sicherheits- und Umweltstandards umfassen.


Durch die Umsetzung dieser Maßnahmen können Landwirte auch in dicht besiedelten Regionen die Transhumanz erfolgreich umsetzen und von den ökologischen, ökonomischen und kulturellen Vorteilen dieser traditionellen Praxis profitieren.

Kühe in der Wanderweidewirtschaft

Fazit & Ausblick

Die Transhumanz könnte zu einem integralen Bestandteil einer nachhaltigen und regenerativen Landwirtschaft werden, die das Beste aus traditionellem Wissen und moderner Technologie vereint.

Durch die Kombination traditioneller Wanderungsmuster mit modernen landwirtschaftlichen Praktiken können Landwirte sowohl ökologische als auch ökonomische Vorteile erzielen. Die Förderung des Tierwohls und die Erhaltung natürlicher Ressourcen sind entscheidend für die Zukunft der Landwirtschaft, und die Transhumanz bietet da einen vielversprechenden Weg, diese Ziele zu erreichen.

Es ist an der Zeit, dass wir die Weisheit vergangener Generationen mit den Innovationen der Gegenwart verbinden, um den Wandel der Landwirtschaft im Einklang mit Mensch und Natur voranzutreiben.

Ausblick: 2026 – das Internationale Jahr der Weidelandschaften und Pastoralisten

2026 sollen Voraussetzungen geschaffen werden, damit eine nachhaltige Bewirtschaftung der Weidelandschaften weltweit ermöglicht wird. Dabei soll die Bedeutung von Weideland und pastoralen Gemeinschaften für die Ernährungssicherheit, die Wirtschaft, die Umwelt und das kulturelle Erbe hervorgehoben werden, Wissenslücken zu diesem Thema geschlossen und eine evidenzbasierte Politik und Gesetzgebung gefördert werden.

Über 300 Organisationen machen sich stark für die Transhumanz

Über 300 Organisationen sind mittlerweile Teil dieser internationalen Unterstützungsgruppe. Sie erstellt Berichte, Fotos und Filme und bündelt diese Informationen. Dazu gehören Arbeitsgruppen, die globale wissenschaftliche Übersichten zu verschiedenen Aspekten von Weideland und pastoraler Lebensweise erstellen. Diese umfassen Themen wie biologische Vielfalt, Landmanagement, Klimawandel, Wasserbewirtschaftung, Wirtschaft und Geschlechterfragen.

Die Monatsthemen des Internationalen Jahres 2026. Copyright: International Year of Rangelands and Pastoralists (Pressemappe)
Die Monatsthemen des Jahres. Copyright: Rangelands Gateway/Pressemappe

Weiterführende Informationen unter: www.iyrp.info

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