Seit Jahren orientiert sich die regenerative Landwirtschaft an fünf weit verbreiteten Prinzipien: minimale Bodenbearbeitung, permanente Bodenbedeckung, vielfältige Fruchtfolgen, ganzjährige lebende Wurzeln und die Integration von Nutztieren. Diese Prinzipien sind mittlerweile global anerkannt und gelten als die Grundpfeiler regenerativer Agrarsysteme. Doch sind es wirklich Prinzipien – oder eher Methoden?
Je tiefer wir in die Praxis der regenerativen Landwirtschaft eintauchen, desto mehr wird klar: Was gemeinhin als Prinzipien bezeichnet wird, sind in Wahrheit Methoden. Und Methoden sind kontextabhängig, während Prinzipien allgemeingültig sein sollten. Diese Unterscheidung ist nicht nur akademisch, sondern hat praktische Konsequenzen für Landwirte, Forscher und politische Entscheidungsträger.
Was ist der Unterschied zwischen Prinzipien und Methoden?
Ein Prinzip ist eine übergeordnete Regel, die universell anwendbar ist und als Leitlinie für das Handeln dient. Methoden hingegen sind konkrete Maßnahmen, die aus Prinzipien abgeleitet werden. Ein einfaches Beispiel: Das Prinzip der Gesundheitserhaltung bedeutet, dass wir Maßnahmen ergreifen sollten, um gesund zu bleiben. Eine Methode könnte dabei sein, regelmäßig Sport zu treiben – sie ist eine spezifische Anwendung des Prinzips, aber nicht universell erforderlich oder für jeden gleich sinnvoll.
Die bisherigen „fünf Prinzipien“ der regenerativen Landwirtschaft sind daher eher Methoden, die unter bestimmten Bedingungen vorteilhaft sein können. Aber sind sie in jeder Region und unter jedem Kontext optimal?
Die Suche nach echten Prinzipien
Im Austausch mit Experten wie Matthew Slaughter (Earthfort, USA) und Anja Wagner (Soilify) haben wir eine alternative Sichtweise entwickelt: Statt auf spezifische Methoden zu setzen, sollten wir uns an grundsätzlichen, zeitlosen Prinzipien orientieren, die überall anwendbar sind und als Kompass für alle landwirtschaftlichen Entscheidungen dienen können.
Auf Hochkultur.org haben wir dazu einen Vorschlag für eine Definition von Prinzipien formuliert, die für eine wirklich nachhaltige Landwirtschaft essenziell sind:
1. Der Boden ist lebendig
Der Boden ist kein lebloses Substrat, sondern ein komplexes Ökosystem voller Mikroorganismen. Das oberste Ziel sollte es sein, den bestmöglichen Lebensraum für diese Lebewesen zu schaffen. Methoden wie Bodenbedeckung, Durchwurzelung und Vielfalt in der Bepflanzung sind Werkzeuge, keine Dogmen – sie dienen dem übergeordneten Prinzip: den Boden als lebendiges System zu fördern.
2. Wissenschaftliche Vorgehensweise
Landwirtschaft ist ein dynamisches Experiment. Mit einer wissenschaftlichen Haltung – Hypothesen aufstellen, testen, beobachten, anpassen – lässt sich nachhaltiger Fortschritt erzielen. Wie beim Holistic Management (nach Allan Savory) geht es darum, Veränderungen aktiv zu managen: Regeneration fördern, Disintegration vermeiden. Die Werkzeuge, die genutzt werden, hängen von der jeweiligen Situation ab – es gibt keinen starren Plan, sondern nur Prinzipien, die sich immer wieder bewähren müssen.
3. Alles ist ein dynamischer Prozess
Die Natur ist ständig in Bewegung. Auch die Landwirtschaft muss flexibel bleiben. Es gibt immer Neues zu lernen und anzupassen. Stagnation bedeutet Rückschritt. Eine nachhaltige Landwirtschaft erkennt, dass Veränderung ein zentraler Teil des Prozesses ist.
4. Aufmerksam sein
Die Grundlage jeder guten Landwirtschaft ist die Fähigkeit, genau hinzusehen. Wie entwickelt sich die Gesundheit des Bodens, der Pflanzen, der Tiere – und der Menschen? Aufmerksamkeit und genaue Beobachtung sind unerlässlich, um zu erkennen, was funktioniert und was angepasst werden muss.
5. Der Landwirt als Teil des Ganzen
Der Mensch, der die Landwirtschaft betreibt, steht im Zentrum des Systems. Seine Bedürfnisse, Wünsche, Intuition und Gefühle spielen eine zentrale Rolle. Nachhaltige Landwirtschaft bedeutet, den Landwirt nicht nur als Verwalter der Natur zu sehen, sondern als wesentlichen Teil des Prozesses. Entscheidungen müssen auch seine persönliche Lebensqualität im Blick haben.
Diese Prinzipien sind universell anwendbar, unabhängig vom Klima, der Region oder der Betriebsgröße. Methoden wie minimaler Bodeneingriff oder ganzjährige Bodenbedeckung sind dann Werkzeuge, um diese Prinzipien umzusetzen – aber nicht die Prinzipien selbst.
Diskussion in der internationalen Community
Auch in der globalen Szene der regenerativen Landwirtschaft gibt es Diskussionen über diesen Perspektivwechsel. Organisationen wie Terra Genesis International haben ebenfalls weitergehende Prinzipien formuliert, die sich nicht nur auf den Boden, sondern auch auf soziale und ökonomische Aspekte beziehen:
- Fortschreitende Verbesserung des gesamten Agrarökosystems
- Kontextbezogene Anpassung von Methoden
- Sicherstellung fairer und wechselseitiger Beziehungen zwischen Landwirten und Natur
- Entwicklung von Individuen und Gemeinschaften
In den USA beschäftigt sich das Rodale Institute seit Jahrzehnten mit den langfristigen Auswirkungen von regenerativen Methoden und betont, dass regenerative Landwirtschaft keine starre Liste von Maßnahmen ist, sondern ein dynamischer und ganzheitlicher Ansatz sein muss.
Warum eine Neudefinition wichtig ist
Die Etablierung echter Prinzipien statt fixer Methoden gibt Landwirten mehr Flexibilität, um individuell passende Lösungen zu finden. Denn nicht jede Methode funktioniert überall gleich gut – ein Betrieb in der Sahara wird andere Ansätze brauchen als ein Hof in der feuchten Norddeutschen Tiefebene.
Darüber hinaus schützt eine klarere Definition von Prinzipien vor der Vereinnahmung regenerativer Landwirtschaft durch industrielle Interessen. Es gibt bereits Versuche, „Reg Ag“ auf einige wenige, standardisierte Methoden zu reduzieren – ein Ansatz, der den eigentlichen Geist dieser Bewegung widerspricht.
Ein weiterer zentraler Punkt ist die Unabhängigkeit der Landwirte. Solange landwirtschaftliche Methoden durch staatliche Subventionen und Vorschriften bestimmt werden, bleibt echte regenerative Landwirtschaft nur eine Nischenbewegung. Die Rückbesinnung auf universelle Prinzipien kann dazu beitragen, eine widerstandsfähige, unabhängige Landwirtschaft zu entwickeln, die langfristig tragfähig ist.
Fazit: Eine Landwirtschaft für die Zukunft
Wir stehen an einem Wendepunkt: Die regenerative Landwirtschaft braucht eine tiefere, ganzheitlichere Betrachtung. Die Fixierung auf Methoden reicht nicht aus. Nur wenn wir uns auf zeitlose Prinzipien besinnen, die überall gültig sind, können wir nachhaltige Systeme aufbauen, die langfristig Bestand haben.
Die Frage ist nun: Wie kann die Community diese neuen Prinzipien weiterentwickeln und in der Praxis verankern? Welche Methoden passen zu welchen Prinzipien – und wie flexibel sollten diese bleiben?
Wir laden euch ein, diese Diskussion weiterzuführen und gemeinsam an einer zukunftsfähigen Landwirtschaft zu arbeiten!
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