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Dr. Thomas Grupp – Alles über Kühe auf der Alm

Geht die Kuh - so geht der Mensch. Ein Abenteuer Interview mit dem Tierarzt und Rinderzüchter Dr. Thomas Grupp.

„Für mich ist klar, wenn die Kuh geht, danach geht der Mensch. Die Zivilisation kam mit der Kuh – und die Zivilisation geht auch wieder mit der Kuh.“ 

Klarer kann der Einstieg in dieses Interview nicht sein. Wir hatten im Karwendelgebirge die Chance von und mit Dr. Thomas Grupp zu lernen. Er betreut seit über 20 Jahren die Züchtung einer genetisch hornlosen Fleckvieh Herde, die sich rein von Gras und Heu ernährt und im Sommer für einige Monate auf der Alm steht.

Mit Gelassenheit und Ehrlichkeit wirft Thomas Grupp einige Fragen auf. Warum ist die Kuh so wichtig für den Erhalt der Zivilisation? Warum werden Nährstoffgehalt und Fettsäureverhältnis von Milch und Fleisch in Zukunft wichtig sein? Wie können wir Rinderherden und mit welchen Merkmalen auf die Veränderungen des Klimas anpassen?

Viel Spaß beim Schauen und Nachlesen.

Play Video about Thomas Grupp - Alles über Kühe auf der Alm - soilify Interviews Staffel 2 - Special

Folge 9 – Alles über Kühe auf der Alm mit Dr. Thomas Grupp

Hier bekommst Du einen Überblick über die gesamte Folge. Über die Zeitstempel kannst Du direkt zu dem jeweiligen Thema im Interview springen.

0:00 Vorspann
1:11 Vorstellung Thomas Grupp
2:10 Gras für die Fleckvieh Herde
6:00 Omega 6 und Omega 3 Fettsäuren in Fleisch und Milch
8:50 Merkmale der Fleckvieh Herde
15:33 Zucht, Epigenetik und Anpassung an den Klimawandel
22:10 Vorteile für die eigene Gesundheit
24:55 Kuh, Geschichte und Zivilisation
29:35 Fruchtbarkeit und die Kuh
37:15 Indien, Laktoseintoleranz und A2 Milch

Interview zum Nachlesen

Mitten in einer Fleckvieh Herde

Anja:
Wer bist du denn?

Thomas:

Ja, ich bin der Thomas Grupp, wie du an der Stimme hörst, nicht aus Bayern. Ich komme aus Baden-Württemberg, bin Schwabe von der Schwäbischen Alb. Aber mein Berufsleben habe ich hier in Bayern verbracht. Ich bin von der Ausbildung her Agraringenieur und Tierarzt.

Und der Grund, warum wir heute hier sind, ist diese genetisch hornlose Fleckviehherde, die ich seit über 20 Jahren begleiten darf.

Und diese Herde ist für mich wirklich etwas Besonderes.

Diese Herde wurde 1997 angekauft von einer der staatlichen Versuchsherde und wurde dann hier etabliert. Und seit 1997 besteht die Nahrungsaufnahme bei dieser Herde nur aus Gras, Heu oder Grassilage.

Ich kenne wenige Herden weltweit, die nur auf Gras passieren und sich so ernähren. Und in den vergangenen 20 oder 26 Jahren haben sich sicherlich einige Besonderheiten in dieser Herde eingestellt.

Für mich war es sehr wichtig, dass diese Herde auf die Folgen der Klimaveränderung vorbereitet wird.

Und seit ich die Möglichkeit habe, züchterisch mitzuwirken, haben wir verschiedene Änderungen angestrebt.

Zum einen, was die Fellfarbe anbelangt und zum anderen die Veränderung des Augenpigments.

Wir bekommen Tiere, die weniger weiß haben im Augenpigment – weil sie dadurch eben auch weniger anfällig sind für Sonnenbrand oder für UV induzierte Krankheiten.

Der gesundheitliche Wert von Fleisch und Milch

Thomas: Diese Herde hat natürlich nicht nur den Auftrag hier die wunderschöne Landschaft zu pflegen, sondern in erster Linie natürlich auch wirtschaftlich Fleisch zu produzieren.

Fleckvieh ist eine sogenannte Zweinutzungsrasse und ist weltweit hauptsächlich verbreitet in der extensiven Fleischproduktion.

Die Kälber dieser Herde werden nicht wie üblich in der Mutterkuhhaltung zwischen 6 und 8 Monaten abgesetzt (Weaning), sondern nach 9 bis 10 Monaten.

Diese zwei Monate bringen viel für die weiblichen Tiere, was wir an den Leistungsergebnissen sehen. Die zwei Monate länger an der Mutter haben einen enormen Lerneffekt.

Sie bekommen von der Mutter praktisch die Schule nebenbei erklärt. Und das bringt viel für das spätere Leben als Zuchtkuh oder als Produktionskuh.

Die Zunahmen der Kuhkälber und der Bullenkälber ist vergleichbar mit einer Herde die sowohl Gras als auch Mais und Kraftfutter Fütterung dabei hat.

Das ist auch einer der Erfolge der über 20 jährigen selektiven Beeinflussung der Herde, dass wir heute Tageszunahmen bei den Kälbern produzieren, die auf hohem Niveau sind. 1300 Gramm im Durchschnitt kann man mit dieser Herde erzielen

So dass im November Absatzgewichte im November vorhanden sind, zwischen 360 und 400 Kilo bei den Kuhkälbern und bei den Bullenkälbern zwischen 460 und 520 Kilo.

Was mich natürlich fasziniert, ist, wenn ich Tiere habe, die nur auf Gras stehen, dann weiß ich schon von Haus aus – von der Ernährungsphysiologie her, dass dieses Fleisch etwas Besonderes ist.

Gras, auch im Voralpinen Bereich, hat ein sehr günstiges Omega 6 Omega 3 Verhältnis, was für den Menschen wichtig ist (nähere Ausführung dazu von Thomas Grupp im Video)

Wir wissen, wie wichtig günstige Fettsäurezusammensetzungen sind – sowohl in der Milch als auch im Fleisch, um für die Gesundheit protektive Stoffwechselwege hervorzurufen.

Anja: Eine klare Ansage.

Der Charakter der Herde

Thomas: Das Fleckvieh ist vom Charakterzug normalerweise überaus ruhig – ich sage immer wieder Fleckvieh kommt von phlegmatisch.

Und wenn wir später näher an die Herde gehen, dann können wir auch die ungeschützten Augen sehen, die eben stärker von Insekten umflogen werden, die zu Irritationen und dann Entzündungen und sogar zu einem Krebsauge führen können.

Ich nehme jetzt diese Kuh exemplarisch – sie ist von der Pigmentierung her optimal. Sie hat zwar immer noch Fliegen am Kopf, das ist ganz normal um diese Jahreszeit – aber die Augen tränen nicht, es sind keine Bäche im Augenwinkel.

Diese Tiere können trotzdem noch diese Krankheit bekommen – das Krebsauge bzw. Plattenepithelkarzinom. Diese muss man dann eben aus der Zucht herausnehmen. Und wir wollen ein ganz glattes Fell. 

Im Kontext des Klimawandels sind auch die Tiere für uns interessant, die besonders früh im Jahr ihr Winterfell wechseln. Insbesondere in heißen Regionen, sind die Tiere für uns am interessantesten, die relativ früh im Frühjahr das Winterfell wechseln – weil insbesondere in heißen Regionen, sind die Tiere, die viel grobes oder langes Haar haben natürlich prädestiniert dazu, dass sie Läuse, Zecken und auch Milben haben.

Und wir sehen, alle sind genetisch hornlos. Diese Genetik wurde durch den Freistaat Bayern 1974 begonnen, in dem hornlose Mutationen aus der Landeszucht aufgekauft wurden und an verschiedenen Standorten züchterisch bearbeitet wurden. Durch die hornlose Genetik fällt das Enthornen weg, was aus mehreren Gründen auch hinterfragt wird. An den Augenlidern ist auch zu erkennen, ob Tiere genetisch hornlos sind oder enthornt wurden.

Ich bin überrascht, dass die Tiere so ruhig sind. Hier im Karwendel ist auch ein Bär in der Gegend – ich dachte mir, die Tiere könnten etwas vorsichtiger sein, dass sie weglaufen. Wie wir sehen, kommen die Tiere auf uns zu, das ist schon toll.

Wir wollen, dass die Tiere gut vor der Sonne geschützt sind – daher die dunkelrote und braune sowie saubere Deckung. Und natürlich das kurze Fell. Die Glocken haben sie dran, damit sie auf der Alm bei jedem Wind und Wetter gefunden werden können. Wenn du bei Neben in der Herde stehst, kannst du sie einfach nicht sehen.

Anja freut sich, dass sie mitten in der Herde stehen – mittendrin dabei.

Anja beim Fleckvieh

Anpassung der Herde an den Klimawandel

Thomas: Aus der Herde sind bereits einige Zuchtbullen zur Samenstation gebracht worden. Und nachdem dies eine Nukleus-Herde ist, die speziell auf Gras gezüchtet ist, gehen wir davon aus, dass diese Genetik in Zukunft immer wichtiger wird. Das hat natürlich auch etwas mit Epigenetik zu tun, dass die Kühe diese Eigenschaften an die nächste und auch übernächste Generation weitergeben werden. Epigenetik ist noch ein recht frisches Wissenschaftsfeld, welches immer wichtiger werden wird.

Dazu ein einfaches Beispiel: In einem Bienenstock werden die einen Bienenlarven mit einem einfachen Pollenbrei gefüttert, die anderen mit Gelee Royal. Der Pollenbrei bewirkt, dass Gene methyliert werden und sterile Bienen entstehen, die dann beispielsweise Arbeiterinnen sind. Durch das Gelee Royal werden die Gene der Biene so beeinflusst, dass aus der Larve eine Königin wird.

Was erwarten wir von der Qualität her von diesen Tieren? 

Tiere, die aus dieser Herde geschlachtet werden, haben eine hervorragende Fleischqualität. Um die Zartheit von Fleisch, die mit einer energiereichen Mastphase erlangt werden kann, braucht dieses Fleisch eine 4 wöchige Abhänge-Phase.

Interessant ist auch, wie diese Qualitäten in Zukunft bezahlt werden. Die Fettsäuremuster werden eine Rolle spielen, auch beispielsweise bei der Milchauszahlung. Je nach ernährungsphysiologischen Werten werden dann Fleisch und Milch ihren Preis erhalten, davon gehe ich aus.

Fleckvieh ist bereits seit 125 Jahren auf dem afrikanischen Kontinent präsent. 1893 wurde das erste Fleckvieh nach Deutsch-Südwest Afrika geliefert. Dort wird die Genetik an aride, semiaride und subtropische Regionen angepasst.

Da wir auch einen Klimawechsel mitbekommen, nutzen wir die Möglichkeit, dass wir uns eine entsprechende Genetik aus Südafrika, Simbabwe, Namibia und Australien zu Nutze machen.

Anja: Die Anpassung ist wichtig!

Ja, wir brauchen angepasste Tiere. Das haben wir bei der Herde bereits relativ früh geschafft, sind Anfangs auch belächelt worden. Heute hat diese Herde nicht nur dieses Pigment und ist auch über die Vorfahren gut an Hitze angepasst.

Der letzte Bulle der Herde hat wieder buntere Tiere gemacht, das wirft uns etwas zurück. Der Bulle der im Frühjahr in der Herde war hat wieder Kälber mit solid rot gedeckten Augen Pigment hervorgebracht. Und wir müssen schauen ob die “zu bunten” Tiere dann die Herde auch verlassen müssen.

Auch schön, wie die Tiere hier stehen bleiben. Fleckvieh ist nicht nur protektiv gegenüber dem eigenen Kalb, sondern die Kühe werden auch komplett von drei bis vier Kälbern ausgesoffen, was auch als zu gutmütig angesehen werden kann.

Die Herde bewegt sich am Anfang der Weidezeit immer noch mehr oder weniger geschlossen, gegen Ende der Weidezeit, wenn das Gras weniger wird, verteilen sie sich schon deutlich stärker auf der Gesamtfläche.

Hier kann man schwierig ein holistisches System fahren, da nicht beliebig Zäune gesteckt werden können. Oder man braucht Hirten, die jetzt die, die Herde täglich in eine bestimmte Richtung begleiten.

Anja: Wie können wir zusammenfassen, was die gesundheitlichen Vorteile sind, Fleisch und auch Milch zu uns zu nehmen, die auch auf den Weiden standen und auch entsprechend gezüchtet wurden?

Es hat natürlich Vorteile, wenn man die Tiere auf der Weide hat. Bisher ist es, dass es auf Grund der Flächenausstattung der Betriebe herausfordernd ist. Die Bestrebungen der heutigen Milchviehbetriebe ist es natürlich, wieder hof nahe Weiden entsprechend zu bestoßen. Einmal der Bewegung wegen, zum anderen, damit sie wieder natürlich Gras fressen können.

Das ist meiner Ansicht nach ein großer Vorteil, dass die Bevölkerung Milch und Fleisch zur Verfügung bekommt, deren Futter Gras die Basis bildet.

Dr. Thomas Grupp und Anja Wagner und Wolfgang Sappl

Entwicklung der Menschheit mit der Kuh

Für mich ist immer wieder ganz klar, die Kuh hat uns die Zivilisation gebracht. Wenn die Kuh geht, geht auch die Zivilisation, das ist für mich hundertprozentig.

Für mich ist immer wieder ganz klar, die Kuh hat uns die Zivilisation gebracht. Wenn die Kuh geht, geht auch die Zivilisation, das ist für mich hundertprozentig. Beschäftigen wir uns mit der Geschichte, sehen wir, dass die Kuh zur Entwicklung der Menschheit beigetragen hat.

Wenn die Kuh wieder geht – dann gehen wir in der Entwicklung wieder zurück. Wenn du Europa anschaust, seit der Öffnung Richtung Osten – hat sich die Tierhaltung mindestens halbiert. Die Kühe sind abgebaut worden. 

Der Rinderhaltung zu unterstellen, dass sie an der Klimaerwärmung- dann stimmt das hinten und vorne nicht.

Die Landwirtschaft hat die Hausaufgaben gelöst.

Wir hatten in Bayern vor 30 Jahren zwei Millionen Kühe – jetzt haben wir mit Nachzucht noch eine Million. Die Landwirtschaft hat die Hausaufgaben gelöst, was die Emissionen von CO2 und Methan angeht. Die Industrie hat sich dafür massiv entwickelt.

Denken wir uns ins Jahr 1900 zurück. Da hatten wir mehr Kühe als heute, jedoch weniger Flugzeuge am Himmel und Autos auf der Straße. Deswegen ist der Vorwurf, die Landwirtschaft macht unser Klima kaputt, völlig verquer.

1871 zur Reichsgründung hatte Deutschland 27 Millionen Schafe. Heute haben wir keine Million mehr. Wir haben noch 500 000. Sie sind auch Wiederkäuer. 

Wir müssen ehrlich mehrere Seiten betrachten, es ist nicht nur schwarz und weiß.

In Deutschland sind wir mit dem Pro Kopf/pro Jahr Fleischverbrauch unter ferner liefen, bei 63 kg pro Jahr. Es gibt viele, die weit mehr essen.

Wir müssen auch die Situation in den Entwicklungsländern sehen. Afrika hat derzeit 1,2 Milliarden Menschen. Ende dieses Jahrhunderts sollen es 3 Milliarden sein. Die Bevölkerung wächst. Die Afrikaner sind Fleischesser und werden einen Teufel tun, weniger zu essen.

Aukse: Um die Welt zu ernähren und den Boden wieder fruchtbar zu machen, brauchen wir die Kuh?

Klar, derzeit haben wir ja die Situation, dass wir noch mit Kunstdünger als Dünger arbeiten. Und wir haben eine extreme Situation, dass wir auf Grund der hohen Energiekosten Düngerpreise haben, die sich kaum ein Landwirt leisten kann. Derzeit müssten die Preise für die landwirtschaftlichen Produkte weitaus höher liegen.

Unser Betrieb in Afrika hat beispielsweise riesige Probleme, sich Dünger einzukaufen für die Aussaat, er ist einfach zu teuer. Deswegen hat der organische Dünger von unseren Tieren auch so eine große Bedeutung in der Zukunft.

Mich ärgert es immer wieder, dass man unsere Nutztiere zu reinen Umweltverschmutzern degradiert.

Bei aller Liebe zu alternativen Ernährungsgewohnheiten. In Deutschland haben wir derzeit nur 1,7 Prozent Veganer. Wir sind als Omnivoren geboren und nicht als Herbivoren. Und deswegen ist es wichtig die Kirche im Dorf zu lassen – eine Veränderung  unserer Ernährungsgewohnheiten wäre zwangsweise.

Aukse: Vielleicht wird der organische Dünger – die Kuhfladen –  mal so wertvoll wie Gold?

Thomas: Das glaube ich jetzt nicht. Aber er ist einfach mehr wert, als wir ihm derzeit zu bemessen, das muss uns klar sein. 

Und deswegen brauchen wir auch hier ein umdenken. Im 19 Jahrhundert waren die Tiere eher Düngerproduzent als Fleisch- oder Milchproduzent. Die haben den Dünger produziert für die Felder.

Und heute ist klar: Es ist wichtig, dass die Rinder auch Leistung bringen. Damit sich die Haltung wirtschaftlich lohnt, beispielsweise durch Fleischproduktion. Das Tier muss Eigenschaften haben, die es wert ist in die Zukunft mitzunehmen. Sei es eine Eigenschaft, dass es resistent ist bei bestimmten Krankheiten. All diese Dinge sind wichtig.

Zum Abschluss des Interviews geht Dr. Thomas Grupp noch auf A1 und A2 Milch (hier unterscheiden sich die Casein also Milcheiweiß Strukturen) und sowie deren bessere Verträglichkeit bei Laktoseintoleranz ein. 

Und durch die eigenen Entscheidungen trifft natürlich jeder Mensch bei jedem Kauf auch mit welches Lebensmittelsystem wir für morgen fördern.

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