Der studierte Landwirt Dr. Theodor Friedrich, geboren in Venezuela, hat seine Kindheit in Latein-Amerika verbracht, was ihn auch später in eine Karriere in der Entwicklungshilfe geführt hat. Anschließend engagierte er sich 30 Jahre lang bei der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO). Während dieser Tätigkeit spezialisierte sich Dr. Friedrich auf nachhaltige, koservierende Landwirtschaft, definiert als Conservation Agriculture. Im Auftrag der FAO hatte er die Möglichkeit, die ganze Welt zu bereisen und einen Schatz an Erfahrungen zu sammeln, von dem auch wir nun profitieren können.
Folge 5
Hier bekommst du einen Überblick über die gesamte Folge. Über die Zeitstempel kannst Du direkt zu dem jeweiligen Thema im Interview springen.
0:00 Vorspann
1:56 Vorstellung von Dr. Theodor Friedrich
4:34 Regenerative Landwirtschaft – wichtig für den Landwirt und Konsumenten
15:36 Wie wir weniger Pflanzenschutz/Pestizide/Ackergifte brauchen
21:38 Klimawandel und Aufbau der Ökosysteme mit der Landwirtschaft
30:14 Die Prinzipien und Förderung der regenerativen Landwirtschaft
46:18 Vergleich Bio Landwirtschaft und regenerative Landwirtschaft
52:41 Kohlenstoffzertifikate und Moorwiedervernässung kann nach hinten los gehen
1:08:10 Gehören Tiere in die Landwirtschaft?
1:19:40 Nachricht an die Konsumenten: Bodenbearbeitung als das Grundübel
Inhalt des Interviews
Wie regenerativ ist die regenerative Landwirtschaft?
Die sogenannte „Regenerative Landwirtschaft“ habe nach Aussage von Dr. Friedrich die Tendenz vor allem auch in Deutschland zu „Jedermanns Liebling“ zu werden. Jeder suche sich einfach das Passende heraus, um als regenerativ zu gelten. Die Realität sehe aber anders aus: gerade in Deutschland betreibe die Mehrheit der Landwirte weder eine nachhaltige noch eine ökologische Landwirtschaft. Seine Auffassung von Landwirtschaft ist eine sogenannte konservierende Landwirtschaft im Rahmen der natürlichen Ressourcen, die sie weder schädigen noch abbauen. In der Praxis werde jedoch nach wie vor der Boden ausgebeutet und die Biodiversität reduziert, was seiner Ansicht nach nicht nachhaltig sein kann. Alle bisher ergriffenen Maßnahmen in der Landwirtschaft führten im besten Falle nur zu einer leichten Abschwächung einer Verschlechterung. Wir sollten uns die wichtige Frage stellen: Was macht die regenerative Landwirtschaft wirklich regenerativ? Welche Komponenten in der Landwirtschaft regenerieren unsere Ökosysteme, um möglichst den Ursprungszustand der Natur wiederherzustellen? Die Intervention der Landwirtschaft verbleibe natürlich nicht folgenlos. Jeder menschliche Eingriff in die Ökosysteme habe Folgen. Diese sollten aber die Ökosysteme nicht nachhaltig schädigen.
Diese Form der mechanischen Bodenbearbeitung ist in der Natur so nie vorgesehen gewesen, eine chemische jedoch schon.
Dr. Theodor Friedrich
Mehr Biodiversität durch Bodenruhe
Anja erkundigt sich, welche Komponenten mehr Beachtung finden sollten. Darauf erwidert Dr. Friedrich: Die Lebensräume vieler Bestäuber befinden sich nun mal im Boden. Der Boden ist ihr Lebensraum und somit Basis unserer Biodiversität. Wenn dieser Lebensraum nun auch durch die geringste Bodenbearbeitung regelmäßig zerstört wird, werden Nahrungsketten auch oberhalb unserer Böden unterbrochen. Das werde leider in der Diskussion um die Artenvielfalt oft vernachlässigt. Wir werden die Biodiversitätskrise nur in den Griff bekommen, wenn wir das gesamte Land als Schutzfläche ansähen. Seiner Ansicht nach liege die Lösung darin, die Böden nicht mehr mechanisch zu bewirtschaften. Diese Form der mechanischen Bodenbearbeitung sei in der Natur so nie vorgesehen, eine chemische jedoch schon. Das zeige uns die Natur ständig selbst. Es nützt auch nichts, wenn sich die Öko-Landwirtschaft einige schöne Dinge heraussuche und auf die Fahnen schreibe, (Kompost oder keine Anwendung chemischer Pflanzenschutzmittel), wenn sie aber gleichzeitig den Boden regelmäßig bearbeite, um Herr über die Unkräuter zu werden.
Ein Ackern ohne zu ackern
Anja: Wie können Landwirte und Konsumenten nun dabei unterstützt werden, wieder den Fokus auf den Boden zu lenken? Dr. Friedrich: Der Landwirt erhalte durch den Wegfall jedweder Bodenbearbeitung nicht nur seine zukünftige Produktionsgrundlage, sondern habe auch weniger finanzielle Ausgaben (in Form von Maschinenkosten und Kraftstoff) und ein Mehr an Zeit. Landwirte seien grundsätzlich offen für Neuerungen, nur wüssten sie oft nicht, wie sie starten sollten. Bodenbearbeitung sei traditionell und oft auch kulturell so fest in den Köpfen verankert, dass die reine Vorstellung Angst mache, den eigenen Acker gänzlich ohne Bodenbearbeitung bestellen zu können. Der Fokus liege oft auf die möglichen Probleme, die eine Landwirtschaft ohne Bodenbearbeitung mit sich ziehe. Das ließe sich aber nach Dr. Friedrichs Aussage leicht überwinden. Ein förderndes Umfeld helfe dem Landwirt in den Prozess der Umstellung zu gehen.
Gesündere Lebensmittel, gesündere Menschen
Konsumenten dagegen gewännen durch diese Form der Landwirtschaft nicht nur eine sicherere Versorgung mit deutlich gesünderen Lebensmitteln, sondern profitierten auch von günstigeren Preisen gegenüber Bio-Lebensmitteln. Die Nährstoffdichte und -diversität dieser Lebensmittel sei von der Gesundheit des Bodenlebens abhängig. Eine neuere Studie besage, dass regenerativ erzeugte Lebensmittel sogar gesünder als ihr Bio-Pendant seien. Diese Lebensmittel benötigten auch weniger Pflanzenschutzmittel, und führten somit auch zu weniger belasteten Nahrungsmitteln, so Dr. Friedrich.
Das Prinzip Hoffnung
Anja zieht ein kurzes Zwischenfazit und beschreibt es wie folgt: Ein System, das uns allen dient. Eigentlich unverständlich, dass weltweit gerade mal 15 % der Ackerflächen auf diese Weise bewirtschaftet wird. (Anm. der Redaktion: In Deutschland sind es knapp über 1% der Flächen, die nach den Richtlinien der FAO „Conservation Agriculture“ bewirtschaftet werden).
Wer mehr über das Thema „Conservation Agriculture“ erfahren möchte, kann sich den Vortrag von Dr. Theodor Friedrich auf unserem Kanal anschauen:
Konservierende Landwirtschaft als Grundlage nachhaltiger Landbewirtschaftung
Als Landtechniker hat sich Dr. Friedrich schon vor seiner Zeit bei der FAO mit der effektiven Ausbringung von Pestiziden beschäftigt. Seiner Meinung nach seien etwa die Hälfte aller applizierten Pflanzenschutzmittel weltweit durch eine verbesserte Technik und Ausbildung vermeidbar.
Seit über 10 Jahren stagnieren nun die Erträge. Und der Einsatz an Dünger und Pflanzenschutzmittel steigt dagegen kontinuierlich an. Die Ökosysteme funktionieren nicht mehr.
Dr. Theodor Friedrich
Grenzen des Wachstums
In der modernen Landwirtschaft seit der Grünen Revolution der 60er Jahre seien Pflanzenschutzmittel gar nicht mehr zu vermeiden, weil die natürlichen Mechanismen nicht mehr greifen. Wir haben schlichtweg verlernt, alte Techniken anzuwenden, wie z.B. das Säen sogenannter Gesundungsfrüchte innerhalb der Fruchtfolge, und ruhten uns auf den Einsatz von Chemie aus. So kämen wir unweigerlich in einen Teufelskreis und zerstörten zusehends die natürlichen Prozesse, wodurch wir nur noch mehr Krankheits- und Schädlingsprobleme verursachten. Mit Hilfe der Agrochemie könnten wir zwar kurzfristig die Erträge der bereits stark geschädigten Böden ausgleichen und eine Zeit lang sogar steigern, aber seit über 10 Jahren stagnierten nun die Erträge. Und der Einsatz an Dünger und Pflanzenschutzmittel steige dagegen kontinuierlich an. Die Ökosysteme funktionierten nicht mehr.
In der Direktsaat kämen wir nach nur wenigen Jahren quasi zu einer Art Biolandwirtschaft, in der Pestizide zumindest in gewissen Perioden gar nicht mehr gebraucht werden. Wir gehen weg von den Spritzungen nach Kalender hin zu einer Anwendung nach Bedarf.
Ins Gespräch kommen
Pflanzenschutz als Werkzeug
So könne die Natur wieder die Kontrolle übernehmen und sich wieder selbst regulieren. Die Präsenz eines Schädlings sei auch per se kein Alarmsignal mehr, solange es von den natürlichen Kontrollmechanismen in Schach gehalten werde. Und wenn tatsächlich mal etwas schief liefe, könne der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln als eine Art Notinstrument angesehen und genutzt werden.
Diese Art der Landwirtschaft werde auch gern als sogenannte Climate Smart Agriculture betitelt. Eine klimaintelligente Landwirtschaft müsse drei Dinge beinhalten:
- Sie müsse gegenüber Klimaextreme gewappnet sein – ohne große Ertragseinbrüche
- Sie müsse dem Klimawandel entgegenwirken (Reduktion der Emissionen)
- Nachhaltige Sicherung der Produktion
Wenn wir die Böden also nicht bearbeiteten, erfülle die regenerative Landwirtschaft genau diese drei Prinzipien. Die Böden hielten das Wasser nicht nur besser, sondern können auch Starkregenereignisse besser verkraften. Das liege zum einen an der hohen organischen Substanz im Boden und den tiefen Wurzeln (auch über die Pflugsohle hinaus), zum anderen an einer permanenten Bodenbedeckung (z.B. durch Mulch).
Darüber hinaus wirkten tiefe Regenwurmgänge wie Drainagerohre, die das Wasser besser und schneller in tiefere Ebenen ableiteten. Das überschüssige Wasser fließe nicht in Flüsse ab, sondern gehe direkt ins Grundwasser, und würde dort gespeichert werden. So stünde es besonders Wäldern wieder zur Verfügung, die derzeit sehr unter der Trockenheit litten.
Wenn wir die Böden also nicht mehr bearbeiten, halten sie das Wasser nicht nur besser, sondern können auch Starkregenereignisse besser verkraften.
Dr. Theodor Friedrich
Dürren beginnen mit Entwaldung
Wenn wir Wälder aus der Landschaft entfernten, liefen wir Gefahr Dürren zu erzeugen. Da wo Wälder seien, gäbe es mehr Regen. Denn Wälder bildeten Wolken durch ihre hohe Transpirationsleistung.
Durch den Klimawandel bedingt wechselten sich nun vielfach Dürren mit Starkregenereignissen ab. Ein Phänomen, das wir eigentlich nur aus tropischen Regionen kannten. Wir beobachten, dass durch Wetterextreme ausgelöste Überschwemmungen oder Staubstürme jetzt auch in unseren Breitengraden zunähmen. Diese Katastrophen sind auch ein Zeichen, dass unsere Landschaften mit diesen Extremen nicht mehr gut zurechtkämen. Die Landwirtschaft leide nicht nur, sondern trage auch zum Klimawandel bei. Über die Bodenbearbeitung werden erhebliche Mengen an Kohlendioxid ausgestoßen. Der Verbrauch an Diesel und der Einsatz von Kunstdüngern und Pflanzenschutzmitteln tragen zu einer weiteren Verschärfung des Klimawandels bei. Die heutige Landwirtschaft werde auf diese Weise zu einem Teil des Problems.
Es gebe drei Grundprinzipien, die das Fundament bilden. Diese Prinzipien gelten gleichermaßen für die Conservation Agriculture (FAO) als auch für die Regenerative Landwirtschaft:
- Bewege den Boden möglichst wenig mechanisch, im Idealfall gar nicht und auf keinen Fall regelmäßig
- Halte den Boden ständig bedeckt – möglichst das ganze Jahr mit einer dicken Mulchschicht – und schaffe eine ständige Durchwurzelung mit lebenden Pflanzen
- Erzeuge eine möglichst große Vielfalt in der Produktionsfläche u.a. durch Zwischfruchtmischungen, weite Fruchtfolgen, Mischkulturen und Baumreihen in der Landschaft.
Dr. Friedrich plädiert darüberhinaus für deutlich mehr Knicks und Baumalleen, um bessere Ökosystemwirkungen zu erzeugen.
Geschlossene Kreisläufe
Wenn wir Tierhaltung ins System integrieren, dann möglichst in Weidehaltung oder wenigstens mit eigener Futtererzeugung, um die Nährstoffkreisläufe (Stichwort: Gülle) schließen zu können. Auf diese Weise erschaffen wir ein nachhaltiges Landwirtschaftssystem, das auch noch in tausend Jahren Menschen ernähren kann. Und Kreisläufe können geschlossen werden, wenn wir wieder lokal und regional produzieren und konsumieren.
Anja spricht das ganzheitliche Weidemanagement nach Allan Savory an, auf das wir an dieser Stelle gern verweisen möchten.
Schlechte Düngeineffizienz
Bearbeitete Böden halten die eingebrachten Nährstoffe nur unzureichend. Auswaschung führe zu einem deutlich höheren Gülleverbrauch und zu einer höheren Konzentration an Nitrat und Phosphat in unseren Gewässern. Wenn wir unsere Böden also nicht mehr bearbeiteten, hätten wir bereits ein wirksames Instrument zur Lösung all dieser Probleme, so Friedrich. Und weiter führt er aus: Durch stickstoffbindende Zwischenfrüchte wie Leguminosen und Bakterien in den unbearbeiteten Böden können wir langfristig Düngemittel weiter einsparen.
Ein System, das funktioniert
Das Faszinierende sei, dass diese Art der Landwirtschaft tatsächlich funktioniere. Im Gegensatz zur Biolandwirtschaft, die nach Friedrichs Aussage auch nicht nachhaltig sei, da sie noch zu viel im Boden herumwühle. Mal ganz davon abgesehen, dass sie auch gar nicht die Mengen produziere, die wir bräuchten, um die Weltbevölkerung zu ernähren. Im Direktsaat-System produzierten die Bauern „wie blöd“ und würden dabei auch immer zufriedener werden. Und auch aus diesen Gründen müssten wir dafür sorgen, dass diese Art der Landwirtschaft noch bekannter besonders bei Landwirten werde, weil sie das alles schließlich umsetzen.
Die Politik, der Bremsklotz
In Europa verhindere die Politik zum Teil die Umstellung auf eine Landwirtschaft ohne Bodenbearbeitung. Stichwort: Erhaltung des Ackerstatus’. Die neue Stichstoffverordnung untergrabe die Durchführung einer ertragsreichen Landwirtschaft – jedenfalls bei dem derzeitigen Zustand der meisten Böden. Und in der Bio-Landwirtschaft werde dann gar nichts mehr produziert. Die Politik müsse die ganzen Zusammenhänge besser verstehen, um die nötigen Schritte zu gehen. Zum Thema Überschwemmungen am Beispiel Ahrtal: Ein gesunder Boden könne über 100 mm pro Stunden über mehrere Stunden hinweg schlucken.
Die Trommeln rühren
Um die Direktsaat deutlich bekannter zu machen, reiche das Engagement leider nicht aus, das von Initiativen wie soilify komme. Es brauche auch die großen Medien in Form von TV und überregionalen Zeitungen, um genügend Öffentlichkeit zu erzeugen. Nur so komme die Politik ins Handeln. Aber leider werde auch noch zu viel Unsinn geschrieben, sodass sich Herr Dr. Friedrich häufig genötigt sieht, Leserbriefe zu verfassen, die bisher aber immer unbeantwortet blieben.
Lobby vs. Basis
Bei dieser Art der Landwirtschaft gäbe es einfach keine Lobby, aber er sieht ein großes Potenzial in Bauernvereinigungen. Der Deutsche Bauernverband dagegen sei als Lobbyvereinigung aber nicht für die Bauern, sondern nur für die Industrie da, und vertrete nicht wirklich die Interessen der Bauern. Auf der anderen Seite gäbe es aber auch viele Lobbys, die gegen uns arbeiteten wie zum Beispiel die Landmaschinen- und die Pflanzenschutzindustrie. Die sei auch politisch sehr mächtig. Daher sieht Friedrich eine große Chance in einer Basisbewegung.
Was ist besser: Bio oder regenerativ?
Die Idee der Biolandwirtschaft leuchte zunächst ein: Der fehlende Einsatz von Ackergiften werde gleichgesetzt mit gesünderen Lebensmitteln. Aber ist die Biolandwirtschaft dadurch auch automatisch ökologischer? Nein, sagt Friedrich klar: Im direkten Vergleich sei die Regenerative Landwirtschaft (ohne Bodenbearbeitung) die ökologischere Form der Bewirtschaftung – auch trotz des Einsatzes von Chemie. Denn Bodenbearbeitung sei der größte Übeltäter in der Umweltzerstörung. Bei der Anwendung von alten Hausmittelchen schaue die Biolandwirtschaft aber auch gern mal nicht so genau hin: So werde z.B. auf Kaffeeplantagen Unmengen an Kupfer zur Bekämpfung von Pilz- und Bakterienkrankheiten eingesetzt, sodass Friedrich sie auch scherzhaft als Kupferminen bezeichnet. Zur Unkrautbekämpfung brauche die Biolandwirtschaft eben sehr viel Handarbeit. Aus dem Grund kämen auch sehr viele Bio-Produkte aus dem Ausland, wo die Arbeitskräfte im Vergleich noch deutlich günstiger seien. Da komme es auch nicht darauf an, ob die Flächen dann irgendwann erodierten – ganz nach dem Motto: aus den Augen aus dem Sinn.
Friedrich sieht aber auch den Umgang mit Pestiziden im Ausland durch fehlende Kontrollinstanzen kritisch und greift daher auch oft lieber zum Bio-Gemüse. In Deutschland dagegen werden Pflanzenschutzmittel zumindest in der Regenerativen Landwirtschaft so eingesetzt, dass Rückstände in Lebensmitteln kein Problem mehr seien.
In den USA gehen die Supermärkte bereits neue Wege: Sie bewerben aktiv Lebensmittel aus regenerativer Erzeugung, die im Gegensatz zu Bioprodukten zu ähnlichen Preisen wie konventionell erzeugte Produkte angeboten werden. Das werde möglich durch geringere Produktionskosten bei gleichbleibenden Erträgen.
Neue Perspektiven
Kohlenstoffzertifikate
Bisher gäbe es noch keine wirklich gut funktionierenden Systeme für Boden-Kohlenstoffzertifikate. Die Mechanismen im Boden seien entweder gänzlich unbekannt oder werden ignoriert. Die kanadische Provinz Alberta zum Beispiel habe ein System etabliert, bei dem Landwirte klare Regeln zu befolgen haben, um solche Zertifikat ausstellen zu können: keine Bodenbearbeitung, ständige Bodenbedeckung usw.
Doch den Nachweis zu erbringen, ob CO2 auch tatsächlich im Boden gespeichert wird und wie viel, sei gar nicht so einfach. Zum einen gehe dieser Prozess stellenweise nur sehr langsam voran und zum anderen gäbe es große Unterschiede in den unterschiedlichen Böden. Messungen sind da oft nicht zielführend. Die Schwankungen von Jahr zu Jahr seien zum Teil auch innerhalb eines Feldes zu groß. Friedrich fordert, dass Landwirte, die diese regenerativen Umweltleistungen durchführen, auch dafür bezahlt werden. Er plädiert für ein an Ökosystemleistungen gebundenes Subventionssystem, bei dem die Mehrkosten auch durch den CO2-Emittenden finanziert werden.
Auf der anderen Seite sieht Dr. Friedrich klar die Gefahr einer missbräuchlichen Anwendung von Zertifikaten innerhalb der Industrie. Auch in der Presse seien bereits solch Fälle von schwarzen Schafen bekannt geworden. Es könne nicht sein, dass am Ende Zertifikate günstiger sind als die Kosten für technische Anpassungen zur Emissionsreduktion. Daher ergebe es mehr Sinn, das Geld besser in die Reduktion als in Zertifikate zu investieren. Zu komplex, zu intransparent. Wie rechnen uns damit die Welt schön.
Im Fokus: Kohlenstoff
Bei all der Fokussierung auf Kohlenstoff sollten wir nicht vergessen auch über den Tellerrand zu schauen. Gerade das Thema Moorwiedervernässung sieht Dr. Friedrich kritisch. Denn bei der Wiedervernässung werden erhebliche Mengen an Methan und Stickoxide durch anaerobe Prozesse (unter Ausschluss von Sauerstoff) freigesetzt, die einen deutlich negativeren Effekt auf das Klima haben als Kohlenstoff. Nassreis zum Beispiel könne ganz ohne ein Überstauen der Flächen und vor allem ohne Bodenbearbeitung wie eine ganz normale Kultur angebaut werden und auf diese Weise Biomasse produzieren und Kohlenstoff binden. Die Produktion von Biomasse sei die einzige Möglichkeit in der Landwirtschaft, Kohlenstoff zu speichern. Dadurch ändere sich auch der Fokus von einem reinen Rohstoffproduzenten hin zu einem Produzenten von Biomasse. Die Förderung der biologischen Prozesse ist bereits in sich regenerativ. Diese biologischen Kreislaufprozesse, die sich selbst regulieren, dürften wir durch Bodenbearbeitung nicht unterbrechen. Heutzutage spreche man von sogenannten Nature Based Solutions. Aber dabei übersähen wir den großen rosa Elefanten im Raum: die Bodenbearbeitung.
Landwirtschaft ohne Tiere?
Der Mensch sei nun mal ein Allesfresser. Wenn wir gänzlich auf tierische Proteine verzichteten, könnten wir auch ernährungsphysiologisch Probleme bekommen, so Dr. Friedrich zum Trend einer vegan-vegetarischen Ernährung. Tiere seien nun mal auch ein Teil des Natur- und Vegetationsmanagements. Es gäbe erheblich große Flächen reiner Graslandschaften auf der Welt, auf denen Ackerbau einfach nicht möglich sei. Diese Flächen könnten wir aber über Wiederkäuer sinnvoll in Nahrung umsetzen. Weidewirtschaft ist lange nicht so schlecht wie ihr derzeitiger Ruf. Ein Großteil des Methans kann nämlich wieder im Boden gebunden werden. Auch bei einer Futterzugabe von Seetang könne nach neuen Forschungsergebnissen der Methanausstoß zusätzlich reduziert werden. Aus ökologischer und ernährungsphysiologischer Sicht ergäbe es schon Sinn, die Tierhaltung beizubehalten, aber wir sollten die Mengen in der Tierproduktion reduzieren. Solange die Tiere in einem regenerativen Kreislauf gehalten werden, sei gegen Tierhaltung nichts einzuwenden. Ja, zum Teil könnten Tiere wie zum Beispiel Hühner dabei helfen, Unkräuter in Schach zu halten. Außerdem bereichere eine vielfältigere Fruchtfolge (z.B. Futterfrüchte) das gesamte System und ziehe noch ökonomischen Nutzen aus der Produktion.
Bewusster konsumieren
Zum Ende des Gesprächs appelliert Dr. Friedrich erneut an den Konsumenten, dass er verstehen möge, dass der große, böse Feind in der Landwirtschaft nicht die Agrochemie, sondern die Bodenbearbeitung sei. Alle reden von Nachhaltigkeit und Bio, aber niemand spreche über Bodenbearbeitung, die als „Biozid“ breiträumig das Bodenleben und deren Lebenräume (mit Ausnahme von Bakterien) langfristig vernichte. Das müsse vor allem der Verbraucher verstehen, damit er sich als Konsument zukünftig besser orientieren könne.
Vielen Dank für das Gespräch, Dr. Theodor Friedrich.
Die nächste Folge
Special: Quo Vadis Regenerative Landwirtschaft? Mit Urs Mauk (Premiere: 27.08.23 auf YouTube)
Kommentar erstellen