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Die ewige Suche nach nachhaltiger Landwirtschaft

Seit die Menschheit sesshafte Landwirtschaft betreibt, hat diese sichtbare Spuren auf unserem Planeten hinterlassen. Viele der ehemaligen Wiegen der Menschheit und Landwirtschaft, wie das Zweistromland oder der Nahe Osten, sind heute Wüstengebiete.

Erst als in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts riesige Staubstürme die Prärien der USA und Kanadas verwüsteten, begann ein Prozess des Umdenkens über die landwirtschaftlichen Praktiken, insbesondere die Bodenbearbeitung.

Die konservierende Bodenbearbeitung als Maßnahme zur Erosionsminderung wurde entwickelt (Kassam, 2019).

Aber dennoch nahmen Bodenerosion und Umweltschäden durch die Landwirtschaft weiter zu. Insbesondere nach dem 2. Weltkrieg, oder mehr noch nach den Erfolgen der Grünen Revolution, wurde die Landwirtschaft zu einem bedeutenden Faktor der Umweltzerstörung, da natürliche Prozesse durch Technologie ersetzt wurden (Kassam, 2021).

Etablierung einer nachhaltigen Landwirtschaft

Schwerwiegende Umweltprobleme durch Pflanzenschutzmittel, die Gewässerbelastung mit Nitraten und Phosphaten, ein Rückgang der Artenvielfalt sind nur einige der Probleme, die seither fortschreiten ohne eine wirkliche Besserung. Gleichzeitig beobachtet man ein Stagnieren der Erträge trotz steigender Aufwendungen von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln. In einigen Fällen sind die Erträge sogar rückläufig.

Die organische Landwirtschaft wird in diesem Zusammenhang als Lösung angesehen, da sie auf synthetische Produktionsmittel verzichtet.

Dennoch hat sie sich bisher nicht als praktische Lösung für eine flächendeckende Ausbreitung bewährt und auch bei diesen Anbauverfahren gibt es erhebliche Probleme mit Bodenerosion, geringer Artenvielfalt in den Böden, der Anpassung an Wetterextreme und niedrigen sowie unsicheren Erträgen.

Auf der Suche nach der nachhaltigen Landwirtschaft werden seit langem gute landwirtschaftliche Praktiken propagiert. Begriffe wie Ökolandwirtschaft, Agroökologie, oder in jüngster Zeit regenerative Landwirtschaft gewannen an Popularität. Viele dieser Begriffe sind jedoch nicht klar definiert, und falls doch, beschreibt die Definition, wie auch bei der nachhaltigen Landwirtschaft, das erwartete Endergebnis, ohne zu spezifizieren, mit welchen Verfahrensprotokollen dieses auch erreicht werden kann.

Auch haben diese Verfahren meist die offensichtlichen Probleme der grünen Revolution im Visier, mit der Annahme, dass die Verwendung von synthetischen Produktionsmitteln das Kernproblem ist.

Dennoch hat sich an der Gesamtproblematik der fortschreitenden Umweltzerstörung durch die Landwirtschaft auch mit diesen Bewegungen nichts verbessert.

Einen anderen Weg hat die Entwicklung der „Konservierenden Landwirtschaft“ (in Englisch Conservation Agriculture), in Deutschland eher bekannt als das System der Direktsaat, genommen.

Konservierende Landwirtschaft wurde in den späten 1990er Jahren populär und entwickelte sich nach der Jahrtausendwende zu einer weltweiten Bewegung. Sie entstand im wesentlichen als Antwort auf die schweren Probleme mit der Bodenerosion in Nord und Südamerika. Ausgehend von der konservierenden Bodenbearbeitung entwickelten die Landwirte Verfahren, die auf jegliche mechanische Bodenbearbeitung verzichteten, die sogenannte Nullbodenbearbeitung.

Um diese Verfahren jedoch nachhaltig zu etablieren, ohne ab und zu doch wieder zur Bodenbearbeitung zurückzukehren, waren weitere flankierende Maßnahmen erforderlich, die letztendlich zu den drei Prinzipien der Konservierenden Landwirtschaft wurden (FAO, 2022).

 

Prinzipien der konservierenden Landwirtschaft

  1. Minimale oder gar keine mechanische Bodenbewegung, d.h. Nullbodenbearbeitung mit Direktsaat und der Verzicht auf Bodeneingriffe auch bei anderen Operationen, wie z.B. der mechanischen Unkrautbekämpfung.

  2. Eine permanente Bodenbedeckung mit organischem Mulch aus Ernterückständen oder lebenden Kulturen und Deckfrüchten.

  3. Vielseitige Anbausysteme mit weiten Fruchtfolgen oder Mischkulturen, z.B. unter Dauerkulturen oder Obstplantagen.

Integration der Prinzipien

Diese drei Prinzipien wurden auch quantifiziert. Das System erlaubt den Einsatz von Produktionsmitteln unter der Voraussetzung, dass diese nicht die biologischen Prozesse im Ökosystem nachhaltig beeinträchtigen oder gar unterbrechen. In Verbindung mit der Viehhaltung lassen sich die Fruchtfolgen durch den Anbau von Futterfrüchten und Grasland weiter diversifizieren.

In diesem Zusammenhang sollte die Tierproduktion auch nur auf der eigenen Futtergrundlage erfolgen, um die Nährstoffkreisläufe soweit wie möglich geschlossen zu halten. Auch lässt sich die Pflanzung von Bäumen in Acker- und Grünlandflächen, z.B. als Baumreihen oder Windschutzpflanzungen, die die Erfordernisse einer vollmechanisierten Bewirtschaftung berücksichtigen, sehr gut mit der Konservierenden Landwirtschaft vereinbaren und ist überdies hilfreich für das Ökosystem sowie auch als Kapitalanlage und zusätzliche Einnahmequelle für die Betriebe.

Die ersten Betriebe begannen mit dieser Art der Landbewirtschaftung in den frühen 1960er Jahren in Nordamerika und in den frühen 1970er Jahren in Südamerika. Es stehen damit mehr als ein halbes Jahrhundert großflächige praktische Erfahrungen mit diesem System zur Verfügung (Kassam, 2020; Kassam, 2022). Die Wissenschaft begleitete diese Prozesse mit entsprechender Forschung, um die Vorgänge in einem Ökosystem mit nicht bearbeiteten Böden besser zu verstehen und die Anbausysteme entsprechend zu optimieren.

Solche Forschung ist insbesondere in den USA, Kanada, Brasilien, später auch in den in afrikanischen und asiatischen Ländern wie Südafrika, Zimbabwe, Indien und China, um nur einige zu nennen, sehr weit entwickelt. 

 

Das Leben fördern

Mit dem ersten Welt Kongress für Konservierende Landwirtschaft im Jahr 2001 in Spanien entwickelte sich die Konservierende Landwirtschaft zu einer weltweiten Bewegung, die derzeit mehr als 200 Millionen Hektar Ackerland umfasst, was etwa 15% der weltweiten Ackerflächen entspricht. Diese Zahlen beinhalten nicht die ebenfalls stets steigenden Flächen in Dauerkulturen und Plantagen, die ebenfalls die Konservierende Landwirtschaft praktizieren.

Die Erfahrungen bisher haben gezeigt, dass bei sachgemäßer Anwendung der drei Prinzipien die Konservierende Landwirtschaft als wahrhaft nachhaltiges Anbauverfahren eingestuft werden kann, welches keinen dauerhaften Schaden in der Umwelt anrichtet. Jeder Eingriff wird so durchgeführt, dass sich das Ökosystem danach wieder erholen kann, bevor der nächste Eingriff erfolgt.

Natürliche Ressourcen wie Boden und Wasser werden nicht nur weniger belastet oder zerstört, sondern sie können sich erholen und zu ihrem ursprünglichen Zustand in einer naturbelassenen Umgebung regenerieren. Humusbildung und organische Substanz im Boden wird gefördert, die Wasserkreisläufe werden wiederhergestellt, die Artenvielfalt nimmt spürbar zu, und zwar unter und über der Bodenoberfläche. Der Einsatz synthetischer Produktionsmittel wie Dünge- und Pflanzenschutzmittel ist stark rückläufig, nicht, weil ihr Einsatz beschränkt wird, sondern weil er nicht erforderlich ist. Natürliche Prozesse mobilisieren Pflanzennährstoffe im Boden, während gleichzeitig Verluste durch Auswaschung und Erosion minimiert werden.

Die Pflanzengesundheit ist verbessert und natürliche Feinde von Schädlingen und Krankheiten halten diese unter Kontrolle, so dass der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln nur noch in besonderen Notfällen notwendig wird. Auch sinkt der Unkrautdruck und unerwünschte Beikräuter werden zunehmend kontrolliert durch die Fruchtfolgen, Bodenbedeckung und das Fehlen der Bodenbewegung, die die Samenbank im Boden mobilisiert. Gleichzeitig steigt das Ertrags- und Produktionsniveau bei sinkenden Produktionskosten (Kassam, 2019).

Das Kernelement, welches für diese Prozesse verantwortlich ist, ist das Fehlen der Bodenbearbeitung. Dies erlaubt insbesondere größeren Bodenlebewesen wie Pilzen, Insekten oder auch höheren Lebewesen, seine Funktionen im Ökosystem Boden zu erfüllen. Die Forschung hat gezeigt, dass die leichteste Bodenbewegung zu einer Zerstörung dieses Ökosystems führt, die durch natürliche Prozesse nicht schnell genug kompensiert werden kann. Bei wiederholter Bodenbewegung beginnt damit eine Spirale der Bodenzerstörung, die in der Folge die oben genannten Umweltprobleme der Landwirtschaft hervorruft und letztendlich zur Wüstenbildung führt.

 

Paradoxe der nachhaltigen Landwirtschaft

So führt die konservierende Bodenbearbeitung, trotz ihrer erosionsmindernden Wirkung, immer noch zu einer Bodenerosion, die um Größenordnungen höher ist, als die natürliche Bodenbildung (Montgomery, 2007).

Wichtig ist jedoch hervorzuheben, dass, wie in der Natur, die Nullbodenbearbeitung durch die anderen beiden Prinzipien der Konservierenden Bodenbearbeitung vervollständigt werden muss: die Bodenbedeckung, um dem Bodenleben Nahrung und Schutz in den oberflächennahen Bodenschichten zu bieten, sowie die Vielfalt der Pflanzen.

Mit diesen drei Elementen kann die Konservierende Landwirtschaft als nachhaltiges Anbausystem betrachtet werden, welches sofort verfügbar und in allen Öko- und Anbausystemen der Welt erprobt ist (Kassam, 2022), und für das auch die notwendigen Technologien entwickelt und verfügbar sind (Kassam, 2020).

Trotz dieser guten Nachrichten ist die Konservierende Landwirtschaft vielfach noch weitgehend unbekannt und sie wird erst in wenigen Ländern durch die Agrarpolitik gefördert.

Insbesondere in Europa widersetzen sich Politiker und auch Wissenschaftler noch der Konservierenden Landwirtschaft. Die Gründe dafür sind rational kaum nachvollziehbar. Eines der renommiertesten deutschen landwirtschaftlichen Forschungsinstitute, das Von Thünen Institut, veröffentlichte sogar eine Studie, in der behauptet wurde, dass durch das Pflügen die organische Substanz im Boden nicht zurückgeht, sondern sogar noch gesteigert werden kann (Jakobs et al., 2018; Don, A; Jantz, M. 2013).

Andere Wissenschaftler veröffentlichten Arbeiten, die zeigen sollten, dass die Konservierende Landwirtschaft keinesfalls die angeblichen ökologischen Vorzüge bringt. 

Dazu untersuchten sie in Metaanalysen Veröffentlichungen über verschiedene Anbausysteme, die alle unter dem Titel Konservierende Landwirtschaft zusammengefasst wurden, ohne jedoch die Definition dieses Begriffes zu beachten (Giller et al., 2009; Pittelkow et al., 2014).

Diese Arbeiten stehen allerdings gegen eine stetig wachsende Anzahl seriöser wissenschaftlicher Arbeiten und praktischer Erfahrungen von Landwirten, die die Vorzüge der Konservierenden Landwirtschaft bestätigen (Kassam et al., 2022). Die Gründe für diesen Widerstand lassen sich nur erraten. 

Es könnte der Unglaube sein, dass die nachhaltige Landwirtschaft, die stets etwas Unerreichbares schien, plötzlich doch möglich wäre und die Suche danach für beendet erklärt werden könnte.

Oder es sind einfache Geschäftsinteressen, insbesondere der Landmaschinen- und Traktorenindustrie, sowie der chemischen Industrie, die die Politiker davon abhalten, die Konservierende Landwirtschaft zu unterstützen. 

Zumindest haben diese Industrien in den Ländern, wo sich die Konservierende Landwirtschaft flächendeckend ausbreiten konnte, nicht die Macht gehabt, wie in den Ländern, wo sie immer noch ein Schattendasein führt.

 

Bibliographie:

Don, A; Jantz, M. (2013). Impact of reduced tillage on the greenhouse gas balance – a meta-analysis, in: Geophysical Research Abstracts Nr. 15

FAO, 2022, What is conservation agriculture? FAO CA Webseite (https://www.fao.org/conservation-agriculture/en/)

Giller, K.E., Witter, E., Corbeels, M., Tittonell, P. (2009). Conservation agriculture and smallholder farming in Africa: The heretics’ view. Field Crops Res. (2009), doi:10.1016/j.fcr.2009.06.017

Jacobs, A., Flessa, H., Don, A., Heidkamp, A., Prietz, R., Dechow, R., Gensior, A., Poeplau, C., Riggers, C., Schneider, F., Tiemeyer, B., Vos, C., Wittnebel, M., Müller, T., Säurich, A., Fahrion-Nitschke, A.,Gebbert, S., Jaconi, A., Kolata, H., Laggner, A. (2018). Landwirtschaftlich genutzte Böden in Deutschland – Ergebnisse der Bodenzustandserhebung. Braunschweig: Johann Heinrich von Thünen-Institut, 316 p, Thünen Rep 64, DOI:10.3220/REP1542818391000

Kassam, A. (ed.) (2019). Advances in Conservation Agriculture Volume 1: Systems and Science, Burleigh Dodds Science Publishing, Cambridge, UK (ISBN: 978 1 78676 264 1; www.bdspublishing.com)

Kassam, A. (ed.) (2020). Advances in Conservation Agriculture Volume 2: Practice and Benefits, Burleigh Dodds Science Publishing, Cambridge, UK, 2020, (ISBN: 978 1 78676 264 1; www.bdspublishing.com)

Kassam, A. (ed.) (2022). Advances in Conservation Agriculture Volume 3: Adoption and Spread, Burleigh Dodds Science Publishing, Cambridge, UK (ISBN: 978 1 78676 475 1; www.bdspublishing.com)

Kassam, A., Kassam, L. (ed.) (2021). Rethinking Food and Agriculture, New Ways Forward, Woodhead Publishing, Elsevier, Cambridge/UK, pp. 444, ISBN 978-0-12-816410-5

Kassam, A., Friedrich, T., Derpsch, R. (2022): Successful Experiences and Lessons from Conservation Agriculture Worldwide; Agronomy 2022, 12, 769. https://doi.org/ 10.3390/agronomy12040769

Pittelkow, C., Xinqiang, L., Lindquist, B., van Groeningen, K.J., Lee, J., Lundy, M.E., van Gestel, N., Six, J., Venterea, R.T. and van Kessel, C. (2014). Productivity limits and potentials of the principles of conservation agriculture. Nature Letter 517, 365–368.

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