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Bei all diesen Diskussionen wird leider vergessen, dass bereits 2009 die Welternährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) die „nachhaltige Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion“ zu ihrem ersten strategischen Ziel erklärte, und dies auch mit funktionierenden Konzepten in die Tat umsetzte. Der heute in Deutschland wieder bemühte Konflikt zwischen intensiver Produktion und Umweltschutz, kann also überwunden werden. Dazu bedarf es allerdings einer Agrarwende, die den Namen auch verdient, und nicht nur alter Wein in neuen Schläuchen ist.
Zurück ins vorige Jahrhundert?
Sicher ist, dass unsere Umwelt leidet: Artenvielfalt und Bestäuberpopulationen sind trotz aller Anstrengungen von Flächenstillegungen und Blühstreifenanlagen rückläufig. Die Gewässerverschmutzung mit Nitraten, Phosphaten und Pflanzenschutzmitteln ist nach wie vor sehr hoch und will trotz Düngeverordnung nicht besser werden, und die Grundwasserbestände sinken, was inzwischen auch zunehmend den Wäldern zu schaffen macht. Für Letzteres wird der Klimawandel als Ursache benannt, für die übrigen Umweltprobleme der Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln in der modernen Landwirtschaft.
Alle Vorschläge für die Landwirtschaft der Zukunft richten sich daher gegen diese Produktionsmittel und kürzlich schlug ein Vertreter des Umweltbundesamtes sogar vor, man solle sich doch auf die Landwirtschaft besinnen, wie sie früher bis etwa Anfang des vorigen Jahrhunderts betrieben wurde. Diese Art der Landwirtschaft, die ja auch die deutschen „Kulturlandschaften“ geschaffen hat, wird dabei als nachhaltig bezeichnet. Leider ist das nur auf den ersten Blick der Fall. Auch ist der Vorschlag, zu einer Landwirtschaft ohne synthetische Produktionsmittel und ohne motorisierte Mechanisierung zurückzukehren nicht wirklich praktikabel, wie ja die derzeitige Diskussion um die Erhöhung der Nahrungsmittelproduktion zeigt.
Um abzuschätzen, was die wirklichen Ursachen für die Umweltzerstörungen sind, die durch die Landwirtschaft verursacht werden, ist eine detailliertere Betrachtungsweise nötig. Dabei hilft auch ein Blick über den Tellerrand der deutschen, oder auch mitteleuropäischen Landwirtschaft hinaus. In der Tat war die Landwirtschaft, wie sie in Deutschland bis Anfang des vorigen Jahrhunderts betrieben wurde, relativ stabil, wenn auch nicht wirklich nachhaltig im Sinne des Wortes. Es wurden vielgliedrige Fruchtfolgen angebaut, die auch Futterfrüchte und Dauergrasland beinhalteten.
Da alle Betriebe Mischbetriebe mit Vieh und Ackerbau waren, war der Futteranteil in der Fruchtfolge hoch. Dies, insbesondere mehrjähriges Feldgras, sowie das gemäßigt feuchte Klima sorgte dafür, dass die Humusgehalte der Böden stabil waren. Durch die Integration von Vieh und Ackerbau waren die Nährstoffkreisläufe relativ geschlossen. Das Ackern mit Zugpferden erlaubte nur geringe Pflugtiefen und die Geschwindigkeiten der Bodenbearbeitungsgeräte waren gering, womit die Zerstörung der Bodenaggregate gemäßigt war. Aber schon wenn man diese Art der Landwirtschaft in andere Klimazonen brachte, war es um die Nachhaltigkeit geschehen: die Böden degradierten und erodierten sehr viel schneller als dies in Mitteleuropa der Fall war.
Die Modernisierung der Landwirtschaft führte dazu, dass die Tieranspannung durch Dampfmaschinen und später durch Traktoren ersetzt wurde. Damit konnte tiefer und schneller gepflügt und geackert werden. Futterflächen gingen zurück. Die moderne Ökonomie empfahl Spezialisierung auf wenige Kulturen, die Trennung von Viehhaltung und Ackerbau, und letzten Endes die Ökonomie des Wachsens oder Weichens.
Die dadurch einsetzenden Prozesse der Bodendegradation wie Humusabbau und Zerstörung der natürlichen Bodenstruktur sowie die Zerstörung der Lebensräume einer Vielzahl von Pflanzen und Tieren wurden durch Düngemittel, Pflanzenschutzmittel und Fortschritt in der Züchtung kompensiert, so dass zunächst die Erträge und Produktion stieg. Heute sehen wir, dass wir damit in eine Sackgasse geraten sind, und auch in Europa stagnieren die Erträge bei steigenden Produktionsmittelkosten.
Leider denken wir aber, dass die Ursache allen Übels in den Dünge- und Pflanzenschutzmitteln sowie den Traktoren liegt. Dies ist aber nicht der Fall, wie ein Blick in andere Weltregionen zeigt: Dort konnte man in Zeiten der Kolonisierung durch die Europäer ähnliche Prozesse der Umweltzerstörung durch die Landwirtschaft beobachten, lange bevor es Traktoren und Pflanzenschutzmittel gab.
Neue Perspektiven
Pflug vs. Humusaufbau
Man kann sogar noch weiter in der Menschheitsgeschichte zurückgehen und sehen, wo vor tausenden von Jahren die Kornkammern der Menschheit waren, wie z.B. das Zweistromland, der nahe Osten und Nordafrika sowie das Horn von Afrika. All dies sind heute Wüsten. Diese Gebiete wurden Wüste, lange bevor es moderne Dünge- und Pflanzenschutzmittel oder Traktoren gab, und auch lange, bevor der Klimawandel der Landwirtschaft zu schaffen machte.
Eines wurde aber in all diesen Gebiete bereits in der Landwirtschaft angewendet: der Pflug. Oft nur als Hakenpflug aus Holz, aber genug, um unter den damals in diesen Gebieten vorherrschenden klimatischen Bedingungen zu einem Humusabbau und einer Bodenzerstörung zu führen, die nicht reversibel war. Heute sehen wir, dass unter dem Klimawandel auch bei uns die Böden dem Klima nicht mehr gewachsen sind. Sie sind nicht in der Lage, bei Starkregen das Niederschlagswasser zu absorbieren, mit z.T. katastrophalen Folgen, wie wir jüngst im Ahrtal sehen konnten.
Darüberhinaus haben die meisten unserer Ackerböden einen viel geringeren Humusgehalt als dies bei den jungfräulichen Böden in unseren Breiten der Fall war. Überdies sind die Böden ziemlich tot: man findet kaum Regenwürmer, und außer Bakterien auch kaum andere Mikroorganismen. Die Biodiversität unserer Ackerböden ist nicht zu vergleichen mit der Vielfalt an Lebensformen, die wir z.B. in Waldböden finden können.
Für die hohe Biodiversität in Waldböden sind nun nicht die Bäume verantwortlich, sondern die Tatsache, dass die Böden dort nicht bewegt werden. Dies bietet allen Bodenlebewesen, die größere Räume zur Ausbreitung brauchen, also insbesondere Pilze, aber auch Insekten und höhere Lebewesen, einen idealen Lebensraum. Die Beschattung des Bodens hält den Boden feucht und kühl, die Auflage von Planzenresten versorgt die Pflanzenfresser mit Nahrung. Durch die Aktivitäten der Bodenfauna, wie z.B. den Regenwurm, wird der Boden gelockert, belüftet und es werden wasserunlösliche Bodenaggregate geformt, in denen Nährstoffe festgehalten und somit nicht mit dem Regenwasser ausgespült werden.
Bodenbearbeitung schadet der Biodiversität mehr als Pflanzenschutzmittel
Wenn wir heute den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft für die Vernichtung der Artenvielfalt und Bestäuber verantwortlich machen, betrachten wir nur die Arten, die wir sehen können. Wir lassen dabei außer Acht, dass viele dieser Arten auch ohne Pflanzenschutzmittel ihres Lebensraumes und ihrer Nahrungsgrundlage beraubt werden, denn die Nahrungsketten beginnen mit der Artenvielfalt im Boden sowie in der bodennahen Mulchschicht. Auch vergessen wir, dass viele Bestäuber, wie z.B. Wildbienen und Hummeln, Bodenbewohner sind, und dass auch unter den bedrohten Vogelarten viele Bodenbrüter sind. All diese Arten verlieren nicht durch die Pflanzenschutzmittel, sondern durch die ständige Bodenbearbeitung ihren Lebensraum und Nahrungsgrundlage.
Die Bodenbearbeitung ist insbesondere in der organischen Landwirtschaft sehr intensiv, nicht zuletzt auch durch die langanhaltenden und oft wiederholten Arbeitsgänge der mechanischen Unkrautbekämpfung durch die Hacke. Der Zusammenbruch der bodennahen Nahrungsketten bewirkt darüber hinaus, dass Krankheiten und Schädlinge keine natürlichen Feinde mehr vorfinden, bzw. dass die Nützlingspopulationen so schwach sind, dass sie nicht rechtzeitig einen Befall der Kulturen verhindern können. Dies wiederum zwingt dazu, Pflanzenschutzmittel einzusetzen, die wiederum zuerst und insbesondere die Nützlinge vernichten und somit einen Teufelskreis erzeugen, aus dem wir nicht herauskommen, wenn wir nicht das ganze System ändern.
Die konservierende Landwirtschaft als Agrarwende
All dies klingt sehr theoretisch. Glücklicherweise haben wir allerdings, weltweit und auch in Deutschland, bereits Hinweise, dass es nicht nur Theorie ist, sondern auch in der Praxis belegbar ist. Seit mehr als einem Jahrhundert wird in vielen Teilen der Welt eine Landwirtschaft betrieben, die von der FAO „Konservierende Landwirtschaft“ genannt wird, und die die Grundlage für die Formulierung des strategischen Ziels der „nachhaltigen Intensivierung“ ist. Sie ist auch Grundlage der derzeit populär werdenden „Regenerativen Landwirtschaft“.
Die Grundprinzipien beider Anbauformen sind:
Andauernde minimale Bodenbewegung, d.h. keine Bodenbearbeitung und bei allen Aktivitäten, die in den Boden eingreifen, wie z.B. Saat, ein möglichst schonender Eingriff, bei dem die Bodenpartikel bestenfalls leicht bewegt, nicht aber zerstört oder in ihrer Anordnung verändert werden. Operationen, bei denen Bodeneingriffe nicht erforderlich sind, wie z.B. Unkrautbehandlung, werden ohne Bodeneingriff vorgenommen. Sonstige negative Eingriffe auf den Boden, z.B. durch schwere Maschinen, werden durch bodenschonende Fahrwerke oder ggf. permanente Fahrgassen minimiert.
Permanente Bodenbedeckung durch organisches Material wie Ernte- und Pflanzenreste, und bodennah wachsende Deckkulturen. Idealerweise eine permanente Begrünung mit Untersaaten und einem ständigen Vorhandensein lebender Pflanzenwurzeln im Boden.
Diversität durch vielfältige Fruchtfolgen, die auch Futterpflanzen, Zwischen-, Deck- und Untersaaten, sowie Bäumen in der Landwirtschaft. Diversität schließt auch eine Integration von Viehhaltung in den Ackerbau ein. In Dauerkulturen wie Obstplantagen wird die Biodiversität durch geeignete Untersaaten und ständige Bodenbedeckung erhöht.
In der regenerativen Landwirtschaft kommen dazu:
Eine Vermeidung von synthetischen Produktionsmitteln wie Dünge- und Pflanzenschutzmitteln wo immer dies möglich ist. Dies ist in der Tat eine natürliche Folge der verringerten Nährstoffausträge aus nicht bearbeiteten Böden, der besseren Nährstoffverfügbarkeit durch das intensive Bodenleben sowie der Verbesserung der Pflanzengesundheit und der natürlichen Krankheits- und Schädlingskontrollmechanismen. In vielen Fällen werden nach einigen Jahren in der konservierenden Landwirtschaft diese Mittel nur noch in sehr geringem Maße und in besonderen Situationen eingesetzt.
Eine integrierte Viehhaltung basierend vorwiegend auf kontrollierter Beweidung auf Rotationsweiden, wobei die Anzahl der Tiere durch die im Betrieb oder maximal in Nachbarbetrieben produzierte Futtermenge begrenzt ist. Damit ist auch wieder ein geschlossener Nährstoffkreislauf aus Ackerbau und Viehhaltung ermöglicht, ohne kostspielige und energieaufwendige Straßentransporte von Futtermitteln und Gülle.
Die regenerative Landwirtschaft ist auf dem Vormarsch
Diese Art der Landwirtschaft ist derzeit in vielen Ländern der Welt im Vormarsch, um genau zu sein, in 102 Ländern auf allen Kontinenten, Klimazonen und Anbausystemen. Allein die Ackerflächen unter konservierender Landwirtschaft machen derzeit mehr als 200 Millionen Hektar aus, was etwa 15% der weltweiten Ackerfläche entspricht. Jedes Jahr kommen 10 Millionen Hektar dazu. Die weltweit ältesten Betriebe in dieser Betriebsform praktizieren das Verfahren seit 60 Jahren. Auch in Deutschland gibt es praktische Erfahrungen mit einigen Pionieren, die das Verfahren 10 bis 20 Jahre praktizieren. Es liegen international umfangreiche wissenschaftliche Studien vor, die die Auswirkungen dieser Art der Landwirtschaft auf Produktion, Ökonomie, Umwelt, Klima und Gesundheit beschreiben. Dabei sind die Ergebnisse in der Tendenz überall gleich, lediglich die Ausprägung und Geschwindigkeit der Veränderungen variiert je nach Klimazone.
Zusammenfassend gibt es folgende Ergebnisse:
Die Erträge, insbesondere aber die gesamte Produktion des Systems über die Dauer der Fruchtfolge steigen. In Hochertragsgebieten treten die Ertragssteigerungen zunächst langsamer und nicht deutlich zu Tage, in Niedrigertragslagen sind sie meist von Beginn an deutlich.
Die Produktionskosten sinken und damit verbessert sich die Wirtschaftlichkeit der Betriebe. Insbesondere Treibstoff und Arbeitszeit werden sofort deutlich reduziert. Gleiches trifft für Maschineninvestitionen zu, da keine Geräte zur Bodenbearbeitung mehr benötigt werden und die vorzuhaltende Traktorenleistung reduziert werden kann. Darüber hinaus erhöht sich die Lebensdauer der Maschinen deutlich. Kosten für Dünge- und Pflanzenschutzmittel sinken mittel bis langfristig.
Ertragsstabilität wird erhöht, so dass extreme Trockenphasen oder Starkregenereignisse deutlich geringere Ertragseinbußen bewirken als bei konventioneller Bodenbearbeitung.
Die Befahrbarkeit der Böden erhöht sich, wodurch die verfügbaren Arbeitszeiten für Feldarbeiten größer werden, was insbesondere bei unsicheren Wetterlagen in Zeiten des Klimawandels Vorteile bringt.
Die Wasserzügigkeit der Böden wird erhöht, wodurch Oberflächenabfluß auch bei Starkregen weitgehen vermieden wird und die Gefahr von Hochwasser in tieferen Gebieten deutlich reduziert wird. Darüber hinaus steigen die Grundwasserspiegel langfristig wieder an.
Verschmutzung der Gewässer durch Dünge- und Pflanzenschutzmittel ist deutlich reduziert, auch bei zu Beginn gleichbleibenden Aufwandmengen.
Die Artenvielfalt in der Agrarlandschaft nimmt sichtbar zu, was auch Bestäuber und Vögel betrifft. Vielfach können nach wenigen Jahren wieder Arten beobachtet werden, die als ausgestorben galten.
Die Produkte, die in konservierender Landwirtschaft produziert werden, sind reicher an lebenswichtigen Inhaltsstoffen wie Ergotamin, Vitaminen und anderen für den Stoffwechsel notwendigen Stoffen. Sie übertreffen, wie jüngste Studien zeigten, diesbezüglich sogar Produkte aus organischem Anbau.
Bei der Einhaltung aller drei Prinzipien der konservierenden Landwirtschaft kann auch der Humusgehalt im Boden deutlich erhöht werden. Dabei findet eine Zunahme der organischen Substanz im Boden nicht nur im Oberboden, sondern auch in größeren Tiefen statt. Diese Vorgänge sind langsam und können durch Zufuhr geeigneter Biomasse aus Ernterückständen sowie Pflanzenwurzeln beschleunigt werden. Bis es zu einer Sättigung im Boden kommt, können aber 30 bis 50 Jahre vergehen. In diesen Jahren wirkt der Boden wie eine Kohlenstoffsenke, d.h. Kohlenstoff aus der Atmosphäre wird längerfristig im Boden gebunden, womit diese Art der Landwirtschaft auch für die Bekämpfung des Klimawandels nützlich ist. Zusätzlich werden Treibhausgasemissionen aus Kraftstoff sowie der Herstellung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln sowie von Landmaschinen reduziert.
Ganzheitlichkeit führt zum Erfolg
Wichtig ist, dass all diese positiven Ergebnisse nur sicher erreicht werden, wenn alle Prinzipien gleichzeitig und dauerhaft angewendet werden. Halbe Sachen funktionieren nicht und die in Deutschland zum Erosionsschutz propagierten Verfahren der reduzierten, konservierenden oder minimalen Bodenbearbeitung wie auch die Mulchsaat führen langfristig nicht zum Erfolg. Selbst die in Deutschland bekannte „Direktsaat“ ohne Bodenbearbeitung alleine ist nicht zielführend, wenn sie nicht durch die anderen Prinzipien vervollständigt wird. Es ist also für eine wirklich zukunftsfähige Agrarwende eine komplette Veränderung der Landwirtschaft nötig, ein Paradigmenwechsel oder auch die so oft beschworene Zeitenwende.
Obwohl all diese Fakten hinlänglich erforscht und publiziert sind und es inzwischen sogar Länder gibt, in denen die konservierende Landwirtschaft die offizielle Landwirtschaftspolitik der Zukunft prägt, wird sie in Deutschland von den Medien und den politischen Entscheidungsträgern weitgehend ignoriert.
Vor kurzem fand in Baden-Württemberg die dreitägige Fachtagung Soil Evolution statt, organisiert von der österreichischen Vereinigung „Boden Leben“, der schweizer „Swiss No-Till“ und der deutschen „Gesellschaft für Konservierende Bodenbearbeitung“ (GKB). Sie war sehr gut besucht und es gab in fünf parallelen Themenbereichen über drei Tage interessante Vorträge über die verschiedenen Aspekte, Verfahren und Erfahrungen mit der konservierenden und regenerativen Landwirtschaft. Die Vorträge kamen von Experten und Wissenschaftlern, zum größten Teil aber auch von Landwirten, die diese Art der Landwirtschaft seit z.T. vielen Jahren bereits erfolgreich praktizieren.
Da die Veranstaltung auf Deutsch war, kamen die meisten Teilnehmer aus den drei Ländern der Organisatoren, aber es waren auch Teilnehmer aus anderen Europäischen Ländern anwesend. Insbesondere die Erfahrungsberichte der Landwirte bezeugten die obengenannten Vorteile der konservierenden und regenerativen Landwirtschaft und bewiesen damit, dass die international gemachten Erfahrungen z.B. aus Südamerika, Nordamerika, Afrika, Asien und Australien auch in Mitteleuropa reproduzierbar sind.
Leider fand die Veranstaltung aber weder bei den wichtigsten öffentlich-rechtlichen Medien wie Radio, Fernsehen und überregionalen Zeitungen, noch bei politischen Entscheidungsträgern Beachtung. Auch fehlten die großen Agrarforschungsinstitute, die in ihren von der Industrie geförderten Forschungen ja leider oft noch zu gegensätzlichen Ergebnissen kommen. Aufgrund der überragenden Anwesenheit von praktizierenden Landwirten auf der Tagung gilt aber auch hier wieder der Grundsatz: Wenn Theorie und Praxis nicht zu den gleichen Ergebnissen kommen, hat meistens die Praxis recht.
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Auch die Politik darf umdenken
Aus all diesen Erfahrungen stellt sich der Verdacht ein, dass die derzeit von Politikern und Interessenverbänden vorgeschlagene Agrarwende und Landwirtschaft der Zukunft keine Lösung für die derzeit dringenden Probleme bietet, sondern bestenfalls die wirtschaftlichen Interessen verschiedener Gruppen bedient.
Auch müssen wir nicht nach „neuen Lösungen“ oder Technologien für eine nachhaltige Landwirtschaft suchen. Wir haben eine praktikable Lösung, die praxiserprobt ist und sofort umgesetzt werden könnte, deren Langzeitfolgen größtenteils bekannt sind und die die meisten unserer Probleme in Umwelt und Landwirtschaft lösen könnte.
Bei der konservierenden Landwirtschaft gewinnen auch die meisten Beteiligten, vor allem die Bauern, aber auch die Gesellschaft und Konsumenten. Einzig die Landmaschinen- und Pflanzenschutzmittelindustrie glaubt, durch diese Art der Landwirtschaft ernsthafte Verluste zu erleiden.
In der Tat geht der Verkauf von Traktoren zurück und Bodenbearbeitungsgeräte werden zu Nischenprodukten. Dafür werden aber neue Technologien und Geräte benötigt, denn eine Abkehr aus der Mechanisierung wird es auch in der konservierenden und regenerativen Landwirtschaft nicht geben. Im Gegenteil, diese Art der Landwirtschaft ist nur durch die technische Entwicklung insbesondere in der Saattechnik möglich geworden.
Die Pflanzenschutzmittelindustrie wird eher mittel- bis langfristig einen deutlichen Umsatzrückgang spüren. In den ersten Jahren der Umstellung werden diese Mittel noch erforderlich sein, bevor die natürlichen Gleichgewichte sich wieder herstellen. Andererseits öffnen sich neue Geschäftsfelder: die meisten internationalen Pflanzenschutzmittelhersteller verstehen sich derzeit ohnehin als Saatgutproduzenten. Hier gibt es einen enormen Nachholbedarf in der Forschung und Produktion von Saatgut für Zwischen- und Untersaatmischungen.
Wenn es der Politik also wirklich ernst ist mit der Landwirtschaft der Zukunft, sollte sie die Umgestaltung der Landwirtschaft zu einer konservierenden und regenerativen Landwirtschaft fördern, und zwar für die gesamte Landwirtschaft. Innerhalb dieser Landwirtschaft ist es dann wahrscheinlich sogar eher möglich, das 30%-Ziel für organische Landwirtschaft zu erreichen.
Anstelle über ein Glyphosat-Verbot nachzudenken, sollte mittelfristig ein Verbot der Bodenbearbeitung anvisiert werden. Schließlich wird mit der Bodenbearbeitung eine nicht erneuerbare natürliche Ressource, die für unser Überleben auf der Erde unerlässlich ist, nachhaltig geschädigt und sogar zerstört. Es sollte also nicht schwierig sein, solch ein Verbot zu rechtfertigen, zumal es ähnliche Verbote ja bereits für sehr viel geringere Umweltschädigungen gibt, wie z.B. das Strohverbrennen.
Agrarsubventionen sollten nicht nur zu 25%, sondern generell nur noch für wirkliche umweltfördernde Anbauverfahren gezahlt werden, wobei die konservierende und regenerative Landwirtschaft den Goldstandard darstellen. Den Landwirten sollten Berater für die Betriebsumstellungen zur Seite stehen.
Durch entsprechende Fördermaßnahmen wie Kredite für den Kauf von Direktsaatmaschinen und Umtauschaktionen könnte auch die deutsche Landmaschinenindustrie dazu bewogen werden, die entsprechenden Techniken, die sie für den internationalen Markt bereits eingekauft hat, auch den deutschen Bauern anzubieten.
Forschungsinstitute könnten den Landwirten helfen, indem sie untersuchen, wie die Kohlenstoffbindung im Boden optimiert und sicher gemessen werden kann und welche Mischungen von Zwischenfrüchten und Untersaaten oder Fruchtfolgen auf welchen Standorten besonders gute Ergebnisse bringen. Solche Untersuchungen werden derzeit von den praktizierenden Landwirten meist selbst und auf eigene Kosten durchgeführt, wie man auf der Soil-Evolution eindrucksvoll sehen konnte. Stattdessen hat das von Thünen Institut kürzlich von sich reden gemacht, indem es nachgewiesen hat, dass durch Pflügen der Humusgehalt im Boden sogar erhöht werden kann, womit es sich international vollständig diskreditiert hat.
Langfristig muss allerdings auch über eine Landreform in Deutschland nachgedacht werden. Nicht nur sollten Tierproduktionsballungsgebiete entflochten werden und die Tierproduktion im Sinne der regenerativen Landwirtschaft wieder an die Ackerfläche gebunden werden. Das würde vermutlich einen Rückgang der Fleischproduktion bedeuten, der aber ernährungsphysiologisch und klimatechnisch durchaus auch gewollt ist.
Monokulturen, wie z.B. der Mais für die Erzeugung von Biogas, sollten verboten werden. Überhaupt ist die Herstellung von Treibstoffen aus Ackerkulturen ethisch, energetisch und klimatechnisch eher fragwürdig und sollte zu mindestens nicht gefördert werden.
Anderseits sollten die Landbesitzverhältnisse korrigiert werden. Ein Großteil der Landwirte in Deutschland wirtschaftet derzeit auf gepachteten oder getauschten Flächen oder verwaltet Betriebe, die landwirtschaftsfremden Investoren gehören.
Diese Situationen sind nicht förderlich, um in den Boden und dessen Produktivität zu investieren, was ja langfristige Vorhaben sind. Das schließt z.B. die Sicherheiten ein, dass der im Boden gebundene Kohlenstoff nicht durch einen Besitzerwechsel wieder freigesetzt wird, aber auch ist das Anpflanzen von Baumreihen in Ackerflächen, die kein Eigentum sind, eine komplizierte und riskante Angelegenheit.
Es gäbe also wichtige Themen, die die Politik für eine wirklich zukunftsorientierte Agrarwende zu lösen hätte, anstatt mit Düngeverordnungen, Glyphosatverboten, Blühstreifen und Flächenstilllegungen, Verboten von Ackerkulturen auf Grünland und Umbruchgeboten für Ackerland den Landwirten das Leben schwer zu machen, ohne der Umwelt zu nützen.
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